Sonntag im Daitoku-ji, Kyoto

Sonntag im Daitoku-ji Tempel, Kyoto

In der auf ihre Art gemütlichen Bar des Hostels nahm ich am Sonntagmorgen mein Frühstück ein. Nicht überwältigend, zudem rationiert – jeder Gast durfte sich nur ein Ei nehmen – , aber ausreichend für eine Grundlage.
Heute wollte ich keine Zeit mit Suchen verbringen sondern auf direktem Weg zu meinem Ziel. Deshalb entschied ich mich, nur die ersten Meter auf die Nordseite des Bahnhofs zu laufen – was Herausforderung genug sein würde-, und von dort ein Taxi zum Daitoku-ji-Tempel zu nehmen.
Diesen hatte ich mir ausgesucht, um nochmals eine andere Form des buddhistischen Tempels kennen zu lernen.

Die Japanische Religion ist für uns Monotheisten nur sehr schwer zu verstehen und zu durchschauen. Sie ist ein Konglomerat verschiedener buddhistischer Lehren und Institutionen, sowie von einheimischen Gottheiten, welche als Kami bezeichnet werden und im Shintoismus ihre Heimat haben. Mit diesen Kamis werden nochmals eine Reihe weiterer Tabus und Reinheitsvorschriften in die Religion eingebracht. In den sogenannten Shinto – Schreinen, verehren die Japaner neben den Seelen der Toten, ihre Ahnen und die verschiedensten Geister, dazu auch noch die diversen mit dem Buddhismus nach Japan überlieferten indischen, chinesischen und koreanischen Gottheiten. (Shinbutsu-Shugo). Das ist für uns tatsächlich ein heilloses Durcheinander, und ich würde erst gar nicht den Versuch starten, einen Durchblick zu erlangen. Einen Shinto Schrein hatte ich in Miyajima besucht. Allein die Farbigkeit und die außergewöhnlich schöne Lage auf dem Wasser, ließen dort, wenn man sich dem Ort öffnete, im Grunde schon eine, wie auch immer gerichtete, Spiritualität entstehen. Ursprünglich waren die Trennlinien dieser Lehren also verschwommen. Und bis heute haben die Japaner keine Probleme mit ihrer polytheistischen und synkretistischen Einstellung, solange für Ihre Wünsche und Sorgen ein jeweiliger göttlicher Ansprechpartner vorhanden ist. Zwar wurde in der Meiji -Zeit (1852 -1912) die Trennung von Kami – Göttern und Buddhas gesetzlich festgelegt; Tempel waren seitdem entweder dem Buddhismus oder dem Shinto zuzuordnen; aber auch dieses Gesetz ist inzwischen aufgehoben. Meist haben japanische Familien zu Hause sowohl einen Shinto als auch einen buddhistischen Altar.

Die Straßen waren ruhig, fast leer, als das Taxi mich weit in den nordwestlichen Teil der Stadt brachte. Auch am Eingang der Tempelanlage auf dem großen Parkplatz waren kaum Autos zu sehen. Eine sonntägliche Ruhe umfing mich, als ich langsam den von hohen Bäumen gesäumten Weg zu dem ersten Tempel ging.

Die Anlage bestand neben einem sogenannten „Honbo“, übersetzt als „Headquater“ aus weiteren 23 (Sub-) Tempeln. Gegründet wurde dieser Tempel 1319. Er konstituierte eine eigene Form des Ranzai-Zen Buddhismus, wie er schon um 1100 nach Japan gekommen war. Auch diese Tempelanlage bestand mehr oder weniger durch viele Zeitepochen, wurde zerstört durch Krieg oder Feuer und wieder aufgebaut. In all den Jahren brachte die Schule des Zen berühmte Priester hervor. Durch die restriktive Abwendung vom Buddhismus in der Meiji Zeit wurde auch diese Richtung des Buddhismus nahezu aufgelöst und die Tempel japanweit zerstört. Nur eben diese Tempelanlage hier in Kyoto blieb, so wie heute zu sehen, erhalten.

Von den 23 Tempeln waren für Besucher nur 4 Tempel zu besichtigen. Andere werden nur für religiöse Zeremonien geöffnet. In einem Fall konnte ich dies beobachten. Sonntäglich sehr elegant und vornehm gekleidete Familien fanden sich in einem der Tempel zu einer Zeremonie ein. Wie es aussieht musste man sich dazu anmelden. Besucher ohne Anmeldung, so wie ich, wurden von den freundlichen Damen am Empfang abgewiesen.

 

Dafür konnte ich den für seinen Trockengarten aus der Muromachizeit (um1509) entstandenen und sehr bekannten „Daisen – in“ Tempel besuchen. Neben diesem wunderbar zur Kontemplation anregenden künstlichen Garten, dessen Symbolismus der abstrakten Philosophie des Zen entspricht, sind die Räume mit Tuschlandschaften von Soami und Kano Motonobu verschönt. „Der Trockengarten selbst ist die dreidimensionale Version einer schwarz-weißen Landschaftsmalerei im chinesischen Song-Stil. Das Schicksal der Menschheit, ihre Beziehung zur Natur und ihr Platz im Universum sind in diesem Meisterwerk dargestellt“ so lautete die vielversprechende Beschreibung des Vis a Vis Reiseführers Japan Ich musste die Runde durch die Gärten mehrmals drehen, bis sich mir die Hinweise auf die eigentliche Bedeutung erschlossen. Im Grunde bedarf es eines Zurückgehens in der Zeit. Wie sahen die damaligen Menschen, in diesem Fall die Zen Priester und Mönche die Welt.? Die Welt anschauen und feststellen, das allem ein Entsprechung in der Natur innewohnt, dass schien mir der Zugang. Ich versuchte mich in die Gedankenwelt der Zenkünstler wahrlich hinein zu meditieren, was bedeutete, dass ich mich in das dargestellte Bild der Beziehung Mensch und Natur zu vertiefen suchte, die Aussenwelt versuchte ich auszublenden und abzuwarten, was die Vertiefung in das Dargestellte auslöste. Erstaunlich, welch` tiefliegende Regionen der eigenen Erfahrung und Erkenntnis mit solch einer minimalistischen Kunst erreicht werden können. Oftmals ist es ein Erkennen, welches einem längst innewohnt. Das Konzept der platonischen Anamnesis erlangt dabei in konzentrierter Form seine Wirksamkeit.

Besonders gefiel mir das Motiv des Kranichs und der Schildkröte. Von alten Zeiten her gilt den Japanern die Schildkröte als das Tier, das in den Tiefen des Ozeans auf dem Grunde sucht und deshalb symbolisiert die Schildkröte die Tiefen zu denen der menschliche Geist sinken kann; während der Kranich sich aufschwingt in die Höhen des menschlichen Geistes und damit symbolisiert er die Höhen, zu welchen dieser aufzusteigen in der Lage sein kann. In der Mitte des Gartens, auf dem sogenannten „treasure mountain”, sind beide, Kranich und Möwe in ewiger Freundschaft vereint dargestellt und stehen damit für die Vereinigung von Himmel und Erde. Freude und Enttäuschung und damit alles was die Elemente der menschlichen Erfahrungen ausmachen. Alles, was im menschlichen Leben Bedeutung hat, wird in diesen Gemälden aus Steinen und Pflanzen dargestellt.

Ich könnte noch unendlich fortfahren, diese Bilder zu beschreiben. Dem Leser würde es nicht allzu viel nutzen. Geht es hierbei doch, in besonderer Weise darum, sich hinein zu meditieren und die Strukturierung des Geistes auf die dargestellten Motive hin zuzulassen. Daraufhin erfolgt ein Erkennen und ein Wiederfinden des eigenen Geistes. Es kehrt Ruhe oder auch Erregung ein, sofern einem eine neue Erkenntnis trifft.

Noch viel langsamer als ich zuvor hineinging, bewege ich mich aus dem Dasein-sen Tempel hinaus. Ich spaziere durch die schönen Anlagen, schaue mir die anderen Tempel von außen an. Werfe verstohlene Blicke über die „Privacy“ einfordernden Holztafeln und versuche, das eine oder andere schöne Motiv mit der Kamera einzufangen.

Auch an diesem Tag beende ich wiederum einen Besuch mit dem Gedanken, dass ich eigentlich zurückkommen müsste. So vieles gäbe es noch zu entdecken und zu erfahren. Auch wenn die Trockengärten, die ich gesehen hatte, darauf hinzudeuten schienen, dass man alles auch in Miniatur erleben kann. Sozusagen ein Motiv aus Siddhartha, Hermann Hesses gleichnamigen Roman, in welchem der Fährmann, der in seinem Leben den Fluß nie verlassen hat, von diesem aber alles durch Zuhören gelernt hat. Immer wieder zweifle ich diese Erkenntnis an, nämlich das man so wie der Fährmann in der Geschichte, das Leben von einem Ort aus erfahren kann. Für mich hat der unstillbare Durst nach Erkenntniss eine weitere unabdingbare Funktion auf dem Weg zu was auch immer, – im besten Fall zu vielen kleinen Erleuchtungen. Demnach müsste ich zurückkommen. Vielleicht würde es gelingen, den ganzen Lebensweg des Menschen von seiner Jugend bis zum Tod in diesem 100 qm großen Garten zu durchschreiten und mitsamt der dargestellten Mauer der Zweifel und Widersprüche, zu erfassen und auch damit eine gewisse Erleuchtung zu erfahren.

Irgendwie ist alles im Buddhismus eine ständige Übung auf die Erleuchtung hin. Schön daran ist die Ruhe und die Stetigkeit, mit der man sich auf den Weg macht. Mit dieser Ruhe im Tun verließ auch ich diesen Tempel. Wir würden in der westlichen Welt sagen, wir seien „runtergekommen“.

In eben dieser Stimmung wollte ich nun wieder per pedes meinen Heimweg antreten, ließ mich aber zunächst von einem gemütlich aussehenden Café anlocken. Mit dem Wunsch, mich noch ein klein wenig in die Theorie des soeben erlebten Zen Buddhismus einzulesen, nahm ich meinen zugewiesenen Platz in einer Ecke des Lokals ein. Es fiel mir wirklich nicht schwer, mich neben dem Matcha-Tee für einen der zahllosen von den Inhabern selbst gebackenen Kuchen zu entscheiden. Den, den ich dann wählte, war, wie alles in Japan die Miniaturausgabe eines Stück Kuchens – verglich man es mit unseren Kuchenstücken zu Hause – . Der Geschmack übertraf aber alle Erwartungen. Mann und Frau mit den beiden Söhnen betrieben dieses Café mit viel Liebe zum Handwerk. Das konnte man bei all ihrem Tun beobachten. So stellte sich auch schnell heraus, dass mir hier, gegenüber des Zengartens, keine Zeit für Kontemplation bleiben würde.

Sowohl der Vater, als auch die Söhne hatten einen Narren an mir gefressen. Sie wollten wissen, wo ich herkam und überhäuften mich mit Versuchshappen Ihrer Spezialitäten, Werbegeschenken des Cafés, bestehend aus Stadtplänen der näheren als auch der weiteren Umgebung Kyotos , sowie zahlreichen Tips und Empfehlungen für meinen Besuch in Kyoto. Zu guter Letzt bekam ich von dem Vater noch einen gefalteten Kranich geschenkt und viel Glück für meine weitere Reise gewünscht. Ich legte das Origami in mein kleines Heftchen über den Daisen-in Tempel und unter vielen Verbeugungen der Familie und meinen Erwiderungen verließ ich beschwingt das kleine Café in Richtung Süden. Es dämmerte bereits und ich hatte mir für heute noch das Gion-Viertel auf den Plan gesetzt. Insgeheim erhoffte ich mir, dort auf eine echte Geischa zu treffen und endlich das historische Kyoto erleben zu können.

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