Die Leitlinien der Bundesregierung in dieser Coronakrise sind klar, es gilt den Kontakt zu anderen Menschen auf das Notwendigste zu reduzieren. Wir sind zurückgeworfen auf unsere vier Wände, auf unser Heim.
Wir sind aber glücklicherweise nicht eingesperrt. Schon sehr früh am Morgen steige ich deshalb in meine Wanderschuhe und mache mich auf den Weg in Feld und Wald. Es ist Sonntag, und ich starte zu dieser frühen Stunde, weil ich die Ruhe und die friedliche Stimmung des Morgens im Wald besonders schätze. Das sieht nachmittags schon ganz anders aus.
Gleich die ersten Sonntage, die mit den Einschränkungen der Coronakrise einhergingen, kam es auf den sonst so einsamen Waldwegen meiner Heimat zur wahren Völkerwanderung. Immer tiefer ging ich in den Wald, suchte meine geheimsten Wege und traute meinen Augen nicht, denn auch dort kamen die Menschen aus dem Unterholz oder um die nächste Ecke gebogen. Manchmal wurde es bei Begegnungen schon sehr schwer, den vorgeschriebenen Abstand zu halten.
Die Landschaft meiner Heimat ist geprägt von dem hügeligen Auf und Ab eines Mittelgebirges. Da kann es schon einmal sein, dass man einen Anstieg zu bewältigen hat.
Nicht alle, die auf Grund der Einschränkungen in der Coronakrise zu Wandervögeln wurden, haben dabei den sportlichen Ehrgeiz, ohne Unterstützung auf die Anhöhen und in die Wälder zu kommen. Ganz plötzlich stehen daher in den Feldwegen sehr viele Autos. Manch einer ist mit seinem SUV schon fast bis in den Wald gefahren. Endlich zahlt sich die Investition in einen 4 wd einmal aus, denke ich mir, während ich immer wieder an die Seite treten muss, um die Fahrzeuge aller Art auf dem schmalen Feldweg passieren zu lassen. Die Welt steht nicht nur still, in vielen Belangen steht sie auch auf dem Kopf.
Das ist anders am sehr frühen Morgen. Da gehört der Wald noch den fröhlich zwitschernden Vögeln, den Rehen und mir, die ich tief durchatmend, die Explosion des Frühlings um mich herum genieße.
Die meisten Menschen, die am Nachmittag unterwegs sind, gehen im Familienverband oder wenigstens zu zweit. Da wird geredet, gelacht und erzählt. Aber wer je keinen Partner für Spaziergänge findet, muss aus meiner Sicht nicht traurig sein. Es geschieht nicht selten, dass ich bei meinen Spaziergängen allein, zu den schönsten Tierbeobachtungen komme.
Wenn ich dann ganz still stehen bleibe, fühlen die Tiere sich sicher und gehen ihren gewohnten Beschäftigungen nach. Da kann es durchaus passieren, dass ein Reh am Wege äst und nicht einmal merkt, dass ich mich immer näher heranpirsche.
Nur zu gerne sitze ich auf einem der Baumstämme, die jetzt in der Frühjahrssonne eine warme Gelegenheit zur Rast bieten, beobachte die Schmetterlinge, schaue den Vögeln oder einem Eichhörnchen zu und lausche dem Plätschern eines kühlen Baches. Das sind friedliche Momente. Die lassen zur Ruhe kommen. Nicht unbedingt den Geist. Ganz plötzlich frage ich mich, was die Menschen so oft daran quält, allein zu sein. Wer jetzt hier so friedlich sitzen könnte, das Gesicht der Sonne entgegen streckend, der müsste so wie ich denken, wie schön diese Welt um uns herum doch ist. Auch drängt sich mir der Gedanke auf, was würde ich tun, wenn ich inmitten einer großen Stadt leben würde. Die Antwort, die ich mir selber gebe fällt leicht: Das Gleiche. Früh aufstehen, Parks aufsuchen um die Häuser streifen und beobachten. Hauptsache gehen. Es ist inzwischen längst durch die Wissenschaft bestätigt. Für den Geist gibt es kaum etwas Besseres als Gehen. Die Gedächtnisleistung wird verbessert, Stresshormone abgebaut und es senkt das Risiko, an einer Depression zu erkranken. Aus meiner Sicht gibt es keine bessere Methode etwas für die eigene Entspannung und Gesundheit zu tun. Dazu ist es noch kostenlos.
So richtig genießen, können diese Möglichkeiten wenige Menschen. Jedenfalls kenne ich nicht viele. Ich frage mich, warum das selbst in dieser mit Einschränkungen gepflasterten Zeit so ist. Vermuten lässt sich, dass wir uns durch die äußeren Restriktionen wirklich zurückgeworfen fühlen. Irgendwie sind wir gezwungen, das Tempo zu drosseln, das immer höher, immer weiter, immer „geiler“, – wie es die Jugend oder die, die als jung geblieben gelten wollen, bezeichnen -, zu unterbrechen. Zurückgeworfen sind wir auf uns selbst oder auf die kleine Einheit der Familie. Das mutet einigen eher komisch an. Das Internet bietet so viele kreative Möglichkeiten an. Die Angebote der Online Streaming Dienste sind verlockend um damit die gewonnene Freizeit zu füllen. Also streamen die Menschen chatten, nutzen Soziale Medien, probieren neue Spiele aus und übersehen, wie nahe so manches Gute auch liegt.
Die Worte des Philosophen Martin Heideggers fallen mir ein, nach denen der Mensch schon durch die Geburt völlig ungewollt in eine Welt geworfen wird, die ihm mehr oder weniger Grenzen bereithält. Sartre bezeichnet den Menschen sogar zur Freiheit verdammt. Dagegen ist das Zurückgeworfensein auf unsere 4 Wände und den Kontakt zu unsere nächsten Familienangehörigen eigentlich das kleinere, recht übersichtliche Übel…, denke ich, schaue in den blauen Himmel und fühle mich verdammt frei.
Zurück zu Hause kann ich dann wieder am Telefon Gespräche führen, kann chatten oder mich mit dem Autor eines Zeitungsartikels oder eines Buches auseinandersetzen. Mein Geist ist wach und durchflossen vom frischen Frühlingswind.
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