Wieder einmal in Lindau der Kunst und Liebe wegen….

Wieder einmal in Lindau der Kunst und Liebe wegen…

Wie in vielen Jahren zuvor, bin ich auch in diesem, immer noch als Ausnahmejahr geltenden 2021,  in die Region Allgäu – Bodensee gekommen. Schon im Vorfeld weiß ich, dass ich mir die vom langjährigen Kurator des Lindauer Kunstmuseums, Prof. Dr. Roland Doschka anläßlich seines 80. Geburtstags zusammengestellte Jubiläumsschau zu Marc Chagall nicht entgehen lassen werde.

 

 

Erwartungsfroh reserviere ich mir einen Zugang über die Website des Museums. 

Es hätte keinen besseren Zeitpunkt für den Besuch dieser Ausstellung geben können, als diesen warmen, sonnigen Junitag. Draußen drängt sich die Natur, – nach ausreichend erfolgtem Landregen -,  in den sattesten Farbtönen, – vor allem in Grün -, dem nahenden Sommer entgegen;  Drinnen, in den dunklen Räumen des Museums, drängt sich auf den farbgewaltigen Lithographien Chagalls der Hirtenjunge Daphnis dem Hirtenmädchen Chloe entgegen. Schon beim Anblick des ersten Bildes spüre ich, ich bin für die Erzählung dieser spätantiken Hirten- und Liebesgeschichte in der richtigen Stimmung. 

Nicht lange brauchen Sinne und Geist,  nach entbehrungsreichen Monaten der Corona Pandemie, – vor allem auch in Sachen Kunst – sich voll und ganz in die farbgewaltigen Bilder hinein zu tasten. Nach mehr als 15 Monaten Homeoffice dürstet es mich geradezu nach Farben und Stimulation. Das Dunkel des Ausstellungsraums erlaubt es meinem Blick,  ungestört, mitten hinein in die Landschaften und Szenen zu spazieren. Meine vom Frühling beflügelten Sinne lassen sich nur zu gerne auf die antike Liebesgeschichte ein, die hier in den Bildern Chagalls erzählt wird. 

Longos, der Autor dieses Werkes, das als erster Liebesroman der Literaturgeschichte gilt, erzählt darin die Geschichte der beiden Findelkinder, die zusammen Heranwachsen und im Übergang von Kindheit zur beginnenden Adoleszenz unschuldig mit ihrem erwachenden erotischen Verlangen umzugehen lernen. Der Autor bettet diese Geschichte geschickt in die Rhythmen der Jahreszeiten ein und Chagall, der von dem Verleger mit griechischen Wurzeln, Tériade,  ganz bewusst ausgewählt wurde, diese Geschichte zu Illustrieren, verstärkte die Botschaften des gefühlserfüllten Romans in korrespondierenden Farben. 42 Lithographien entstanden, die es vermögen, sofern man sich auf die Komposition von Geschichte und Malerei einlassen kann, einen kleinen Sinnenrausch auszulösen.

 

Der vermeintliche Autor Longos hatte sein Werk „dem Eros, den Nymphen und dem Pan geweiht“ Er wünschte es den „Kranken zur Heilung, den Trauernden zum Trost, dem Liebeskundigen zur Erinnerung, dem Unkundigen als lehrende Vorbereitung…1 .

Sehr langsam gehe ich von Bild zu Bild. Genussvoll lasse ich mich auf die Szenen ein. Meine Phantasie beginnt manche Reise, fast schafft sie es in Gedanken selbst bis auf die Insel Lesbos, wo die Hirtenromanze spielt. Während sich beim einen Bild ein verständiges Lächeln auf mein Gesicht schleicht, entfährt mir beim nächsten ein tiefer Seufzer. Chagall Darstellungen scheinen klar und verständlich aber sie lassen immer auch ein hermeneutisches Geheimnis, wie ich meine.  Dankbar nehme ich die sehr überschaubare Anzahl von  Besuchern wahr. Könnte es doch fortan immer so bleiben, dass die Menge der Besucher in den Museen der Welt begrenzt bliebe, denk` ich mir und taste mich mit meinem Blick genussvoll ins nächste Bild hinein. Fast meine ich, den Sommer mit seinem typisch trockenen erdigen Duft zu riechen und das leise Rauschen des Meeres im Hintergrund zu hören. Fast meine ich,   selbst im tiefen Gras zu liegen und umgeben vom Gesang der Zikaden,  auf meinen Liebsten wartend,  zu träumen. 

Auch wer die Bild- und Motivsprache Chagalls nicht kennt, so scheint mir, wird durch die Farben, die der Künstler jeweils passend zu den emotionalen und sinnlichen Botschaften wählt, traumwandlerisch in die Stimmungen der Szenen geführt. 

Es verwundert mich dann auch nicht im geringsten, später bei Monsignore Klaus Mayer, dem ehemaligen Pfarrer von St. Stephan in Mainz2, zu lesen, dass die Liebe das zentrale Moment im Leben und Schaffen Chagalls ist. Auch wenn es in dem kleinen Büchlein von Mayer3, vor allem um Chagalls Fähigkeiten zur mystischen Schau und deren Darstellung geht, wird zweifelsohne deutlich, dass im Kern die Liebe die Urkraft ist und die Quelle,  aus der alles was Chagall ist und tut entspringt. Ist das nicht wunderbar zu wissen? 

In den Illustrationen zu Daphnis und Chloe verbinden sich somit die Kräfte der göttlichen Liebe mit den Kräften des Eros. Und wenn man noch einmal Klaus Mayer und dessen Ausführungen in seinem wunderbaren Werk Glauben schenken darf – und das tue ich uneingeschränkt, da ich es nicht anders empfinde -,  dann ist es so, dass er  „Bis heute kein Bild des Künstlers gefunden hat, das in seiner Aussage  im Widerspruch zur Bibel steht¹4 .“

Das trifft mein unerschütterliches Verständnis von Schöpfung und auch von einem Schöpfer.

Das Buch Mayers, das ich im Museum erwerben konnte, beflügelt meinen Zugang zum Künstler sehr. Es bringt mir Chagall auf eine spirituelle Art sehr nahe. 

 

Das Motiv des eng umschlungenen Liebespaares zieht sich wie ein roter Faden durch die Werke Chagalls. Nicht nur im Bildzyklus zu Daphnis und Chloe. Vom letzten Bild des Zyklus, Blatt 42, auf welchem sich die beiden Liebenden endlich den Wonnen der erotischen Liebe widmen, und dessen Titel den Namen des griechischen Hochzeitsgott „Hymenäos“ trägt, geht es in der Ausstellung weiter zum nächsten Werk auf welchem das „Liebespaar mit Nelkenstrauß in Grün (1950)“ zu sehen ist. Für mich macht es nicht nur die Farbkombination zu meinem persönlichen Favoriten. Zeitlich ist die Entstehung des Bildes im Leben Chagalls dort einzuordnen, wo er sich nach dem Tod seiner geliebten Frau Bella endlich wieder dem Aufbau einer neuer Liebesbeziehung mit der jungen Virginia widmet. Auch ihm mögen Eros und das mediterrane Klima neue Kräfte geschenkt haben. Die besonderen Lichtverhältnisse und das Füllhorn der Natur beflügeln seine Malerei nicht minder. Die roten Nelken, die zärtliche Umarmung in welcher der Mann die Frau umfängt, alles auf diesem Bild drückt Liebe, Nähe, Vitalität und die „Kraft des Neuanfangs“ aus, wie es auch im Ausstellungskatalog beschrieben wird¹5 ..

Genau in dieser Zeit und in dieser Landschaft strebt Chagall nach der Ausweitung und Bereicherung seiner herkömmlichen Techniken.  Das nächste Liebespaar, David und Bathseba rührt den Betrachter in Erdfarben an und ist eine bemalte und glasierte Keramik.  Nicht minder zärtlich und erotisch aufgeladen als es seine Gouachen sind, spricht mich auch dieses Werk nicht minder an. In dieser Zeit entstehen neben Bildern auch Vasen, Skulpturen und Geschirr. Die kunsthandwerklichen Einflüsse der Provence und der Cote Azur hinterlassen ihre Spuren in seinem Wirken.  

„Die Magie des mediterranen Lichts und die üppige Vegetation Südfrankfreichs seien starke Inspirationsquellen in Chagall Spätwerk gewesen, die zu einer wahren Explosion seiner Farbpalette geführt habe¹6 .“ führt es Pia Mayer ebenfalls im Ausstellungskatalog aus. Vor allem die Farbe Blau erfährt an der Cote Azur noch einmal eine intensive Hinwendung und Aufmerksamkeit des Künstlers. 

In einem Interview erläutert Roland Doschka die besondere Beziehung Chagalls zu der Farbe Blau: „Blau war für ihn jedoch nicht nur der Ausdruck seiner südlichen Impressionen, sondern eine transzendente Farbe. So stand für Chagall hinter der überwältigenden Vielfalt der Formen und Farben der Natur immer die Allmacht eines Schöpfers.“7

Das kann man nicht nur in der Ausstellung überprüfen. Nicht weit entfernt vom Kunstmuseum, auf der ebenfalls gerade statt findenden Gartenschau Lindau hat der Kurator, der sich auch als Gartengestalter in der Region einen Namen gemacht hat,  dominiert von der Farbe Blau,  einen Chagall Garten gestaltet. Diesen kann ich mir an einem anderen Tag ansehen. Längst bin ich da dem Zauber der Malerei Chagalls erlegen.

 

 

Ich mochte seine Bilder schon immer und doch hat mich diese Ausstellung und die dazu gehörige Literatur auf ganz besondere Art noch einmal für ihn eingenommen. 

Beeindruckt hat mich auch die Tatsache, dass Chagall zeitlebens und unerschütterlich ein gläubiger Mensch war.  Dieser Glaube gründet in den chassidischen Wurzeln seiner Familie, die ihn prägte. Er geht einher mit einer besonderen Fähigkeit zur tieferen Wahrnehmung der Schöpfung, wie man sie im chassidischen Judentum immer wieder finden kann und wie insbesondere  ich sie in den Romanen Joseph Roths und anderen galizischen Autoren kennen lernen konnte.

Diese Fähigkeit bringt ihm den Ruf ein, ein Bildprophet zu sein, – wie man es bei Klaus Mayer lesen kann, der Chagall vor allem auch als Mystiker huldigt. Indem ich Mayers Ausführungen gelesen habe, wird mir der Zugang zu seiner Kunst wie mit Zauberhand noch einmal viel weiter und anders geöffnet. Warm wird mir ums Herz, wenn ich die Tiefe seiner chassidischen Seele erahnen kann.  Fast eine Art Ergriffenheit erfasst mich beim Betrachten der Bilder vor diesem Hintergrund. 

Wo kann man in der heutigen Zeit noch einem Propheten begegnen, geht es mir durch den Kopf. Die Stärke seiner Ausdruckskraft mittels Farben ist an Deutlichkeit kaum zu überbieten.  Schon schaue ich nicht mehr nur seine Bilder sondern lese in ihnen und erhalte ganz neue Impulse bei der ewigen Suche nach Antworten, bei der sehnsüchtigen Hinwendung auf einen Schöpfer. Und da für Chagall Gott vor allem die Liebe ist und man sich ihm somit auch nicht anders nähern kann als in Liebe, wird alles so rund … .  Und so möchte man die Liebe auch als zentrale Botschaft seiner Bilder überall entdecken und kann es auch. Liebe als Weg zwischen Welt und Gott….

Nun würde ich am liebsten noch einmal in die Ausstellung gehen, um mich mit den Errungenschaften meines Geistes ein weiteres Mal auf die Botschaften der Bilder einzulassen. Hier bestätigt sich  aber auch die Botschaft eines ganz anderen Künstlers, nämlich Antoine de Saint Exupery` s , der seinen kleinen Prinzen so lebensklug feststellen ließ, „man sieht nur mit dem Herzen gut“. Chagalls Bilder gilt es mit den Augen und dem Herzen gleichermaßen zu betrachten.   Man möchte meinen, danach soviel gewisser zu sein.

 

 

1 Longos: Daphnis und Chloe. 

2 welchem es gelang Chagall zur Schaffung der Glasfenster zu bewegen“ 

3 Ich habe die Bibel geträumt. Marc Chagall Maler und Mystiker. Klaus Mayer. 2009 Echter Verlag GmbH, Würzburg.  4. Auflage 2019

4 Ebd.

5 Ebd. S. 36

6 Marc Chagall. Paradiesische Gärten. Katalog. Roland Doschka (hrsg.) Kunstmuseum Lindau.2021

7 Ebd. 

8 Roland Doschka im Interview mit Lindau Tourismus und Kongress GmbH. 29.01.2021

9 Ich habe die Bibel geträumt. Marc Chagall Maler und Mystiker. Klaus Mayer. 2009 Echter Verlag GmbH, Würzburg.  4. Auflage 2019

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