Meine letztes Ziel in Japan war die Millionen Metropole Tokio. Ein bisschen graute mir davor, war ich doch nie der typische Stadtmensch gewesen und auf Reisen gab es daher wenige Großstädte, in denen ich es unendlich lange aushielt. Aber ich war auch gespannt auf diese bei jungen Leuten als hip geltende Weltstadt. Viele Dinge hatte ich über Tokio gehört, gelesen und auch das eine oder andere darüber in Film und Fernsehen gesehen. Zunächst galt es aber wieder den Bahnhof zu erobern und zu überwinden, als ich am 14. Dezember 2017 dort ankam. Doch das ging weitgehend ohne Probleme, und so konnte ich am richtigen Ausgang mein Taxi nehmen.
Unweit vom Bahnhof, da wo einst das Fischerdorf Edo seinen Aufschwung nahm, um das heutige Tokio zu werden, nämlich rund um die Burg, am heutigen Kaiserpalast, lag mein sehr schönes und dazu noch erschwingliches Hotel einer japanischen Hotelkette. Das Zimmer im 9 Stock bot einen traumhaften Ausblick auf den großen Wassergraben, der die Palastinsel umgibt, und auf eine der zahlreichen Skyline – Ansichten der Stadt – dem Bankenviertel Marunouchi – und natürlich auf die Insel, auf welcher der „Himmlische Herrscher“ lebt, den wir als Kaiser bezeichnen. Besichtigen lässt sich dessen Palast nicht. Nur zweimal im Jahr wird ein bestimmter Teil davon zu Kaisers Geburtstag am 23. Dezember und noch einmal zu Neujahr geöffnet. Das Palastgelände soll ebenso viel wert sein, wie der gesamte US-Staat Kalifornien, las ich nicht schlecht staunend, in einem Reiseführer. Kaisers Geburtstag würde ich hier in Japan aber deshalb nicht abwarten, mir reichte auch schon der wirklich angenehme und grüne Ausblick aus meinem Zimmer.
In Tokio hatte ich nun nicht mehr viel auf dem Programm, – es sollte der Ausklang meiner Reise durch das fernöstlich fremde Land werden. Ich hatte so vieles gesehen und erlebt, dass ich die Erinnerungen keinesfalls mit Hauptstadteindrücken überpinseln wollte. Ich schaute mir selbstverständlich noch den einen oder anderen Schrein an, besuchte die als hip geltenden Viertel Shibuya, Shinjuku und Ginza, stöberte durch Antiquariate im Jimbocho Viertel, in denen ich zwar nichts lesen aber dafür fasziniert die alten, kalligraphisch wunderschön gestalteten Bücher und Schriften bestaunen konnte. Ich erlebte Rummel rund um einen Schrein, mit Imbissbuden aller Art und fliegenden Händlern, ich erlebte ruhige, versteckte Ecken zum Ausruhen, ich erlebte hektische, bunt flackernde Bildschirme an Straßenkreuzungen und laute Musik, nahezu alles, was man über Tokio hört oder weiß, habe ich zu sehen bekommen. Sowohl hip als auch traditionell konservativ, sowohl laut als auch leise, sowohl schrill als auch retro, nichts, das man nicht in dieser ach so lebendigen Stadt erleben kann.
Auf meiner Reise durch das Land hatte ich immer wieder festgestellt, dass Japan so ganz anders ist und in seiner Andersheit niemals einfach zu erfassen. Tokio toppte das alles noch, spitzte es zu und vibrierte irgendwie dabei. Nun, nachdem ich Tokio gesehen und erlebt hatte, wusste ich, nichts konnte die Andersheit besser zusammenfassend darstellen als diese Stadt mit all ihren Facetten. Ich war begeistert, ich war abgestossen, ich war überrascht, war genervt, aber ich war auch völlig eingenommen. Was ich nicht fand, oder sagen wir, fast nicht fand, das war an irgendeiner Stelle Tiefgang. Das heißt in keinem Fall, dass es ihn nicht gab, ich hatte nur in vier Tagen keine Gelegenheit ihn inmitten dieser pulsierenden Stadt aufzuspüren, – außer vielleicht bei meinem Besuch im Kabuki Theater, aber dazu später -.
Als ich vor nicht ganz zwei Wochen in Japan angekommen war, fiel mir allerorts die ganz eigene Art der Menschen auf. Da war zunächst ihr Gang. Er schien nur zwei Versionen zuzulassen. Entweder, wie ich es bei vielen Frauen sah, kindlich mit nach innen geführten Füssen, was meist auch ein bisschen hilflos wirkte und putzig. Männer, die in dieser Kategorie gingen, bewegten sich irgendwie unterwürfig, zaghaft und in Leisetreter Art. Dem gegenüber gab es so eine Art Stechschritt. Er war zackig, ein klein wenig plump, aber entschlossen. Mir schien, dass jeder Japaner und jede Japanerin entweder der einen oder anderen Kategorie zuzuordnen waren. Dazwischen gab es nichts, jedenfalls fand ich es nicht bei meinen Beobachtungen. Hier in Tokio angekommen, sah ich diese beiden Varianten sehr viel seltener. Hier gingen die Menschen westlich, zielorientiert. Sie hatten es eilig. Sie setzten, wenn es sein musste, ihre Ellenbogen ein. Tokyo hatte keine Zeit mehr für Verspieltheit oder militärischen Drill. Hier war alles verwaschen worden. Tradition und Moderne waren hier verschmolzen. Man ging seinem Business nach, man hatte keine Zeit, man kannte sich nicht. Nun ja, so wie Großstädte eben sind, anonym und geschäftig. Ich gewöhnte mich schnell daran und meine Augen blieben längst nicht mehr so oft an den Menschen selber hängen, sondern eher an Ihrem Äußeren. Denn in dieser Hinsicht gab es die schillerndsten Angebote. Sei es die Schuhmode, seien es die Businesslooks der Frauen, oder auch der Männer, immer aber sah man ein Höchstmaß an Modebewusstsein, Mut zur Extravaganz, Gepflegtheit und Eleganz. Die meisten Frauen die ich sah, hätten sofort auf den Titel eines Modemagazins gepasst. Es wurde, wie überall in Japan sehr viel Wert auf Gediegenheit und Marken gelegt. In Ginza sah man die Reichen beim Shopping, in Jinbocho die Intellektuellen beim Bücherkauf und im Biomarkt. Ganz gewiss gab es auch hier die traditionsbewussten Menschen und die traditionsbewahrenden Orte. Für einen Kurzzeitbesucher wie mich war das aber kaum in der Menge, der dahineilenden Menschen auszumachen.
Also ließ ich mich durch die geschäftigen Menschenmassen treiben, quetschte mich in die U-Bahn und überwand sogar meine Angst vor Höhe beim Besuch des Skytrees. Dieser ist mit seinen 634 Meter Höhe, das zweithöchste Bauwerk der Welt und immerhin der höchste Fernsehturm.
Es brauchte bestimmt 1 1/2 Stunden Schlange stehen, bis ich an den Ticketverkauf kam. Beim Blick in die Eingangshalle traute ich zunächst meinen Augen nicht, als ich die Menschenmassen sah, die durch die Absperrung mäanderten. Wenn man dann die eine Halle durchlaufen hatte, dann ging es um die Ecke und man stand in der nächsten Halle und dort standen noch einmal so viele Leute geduldig wartend und war man dann nochmal um die nächste Ecke gebogen waren es nochmals so viele Hätte mir jemand das vorher gesagt, ich glaube, ich hätte auf die Aussicht verzichtet.
Aber zum einen war es meine letzte Chance, den Fuji zu sehen, zum anderen dachte ich nach jeder Halle, nun hätte ich es ja fast geschafft, nicht ahnend, dass sich die Schlange durch 3 oder 4 große Hallen bewegte. Irgendwann war es dann geschafft. Man stand vor dem Aufzug. Klassische Musik, es klang ein wenig nach Wagner, empfängt die Besucher beim Einsteigen. Dann bringt einen der Aufzug, der 600 Meter in der Minute zurücklegen kann, in 50 Sekunden nach oben. Die Gestaltung des Towers sollte Moderne mit alter japanischer Weisheit vereinen. Das sieht man auch in dieser Aufzugkabine, die kunstvoll in schwarz weiß gestaltet ist.
Oben angekommen, suchte ich als erstes nach dem Ausblick in die Richtung, in der der Fuji San stehen müsste. Aber, wiederum Pech, die Sicht war nicht klar genug. Es war diesig. Wenn ich meine Augen sehr stark anstrengte, konnte ich zwar die Umrisse zwischen den einheitlich hellgrauen Wolken erkennen, aber selbst mit meiner Kamera samt Zoom konnte ich dies nicht einmal einfangen. Es blieb also dabei, wollte ich den heiligen Berg sehen, ich würde Japan noch einmal besuchen müssen. Sehr unangenehm war mir der Gedanke nicht.
Die Aussicht auf die Stadt und ihren Ballungsraum war natürlich gigantisch und man erfasste, welche Fläche der Großraum Tokio einnahm, der, wenn mich nicht alles täuscht als einer der größten Ballungsräume der Welt gilt. Jedenfalls meine ich das irgendwo gelesen zu haben.
Zurück auf dem Boden der Stadt, begab ich mich wieder in eine der U-Bahnen. Nach einigen Fahrten, war das System auch durchschaut. Lediglich die Einstiege und Ausstiege konnten wieder zum Mysterium werden, da ein und dieselbe Haltestelle ihre Ausgänge an einer ganz anderen Straße haben konnte, wie die, wo man eingestiegen war. Dann fand man sich einfach nicht mehr zurecht. Manches Mal wird man auch einfach in das Unter- oder Erdgeschoss eines Kaufhauses ausgeworfen. Es ist kaum zu beschreiben, in welchen Dimensionen sich diese Stadt bewegt und ausdehnt. So klein der Wohnraum mangels Platzangebot auch sein mag, die Straßen, die Bahnhöfe und U-Bahnhöfe waren oft unvorstellbar groß. An einem der U-Bahnhöfe gab es sogar einen Zug, der die Fahrgäste von einem Bahnsteig zum nächsten brachte. Laufen konnte hingegen zur Wanderung werden. Ich glaube, es war in Ginza, wo mir solches widerfuhr und ich am richtigen Ort angekommen, dennoch kilometerweit laufen musste, um den richtigen Ausgang oder die richtigen Bahnsteig für die Weiterverbindung zu finden.
Fortsetzung folgt in Teil II
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