Teil II – Tokio bei Nacht.

Für meinen Abend im traditionellen japanischen Theater, welches sich ebenso in Ginza befand, hatte ich mir den U-Bahn Ausgang extra tagsüber angeschaut. Abends auf dem Weg dorthin sollte nichts schief gehen. Ich machte mich also mit ausreichend Zeit auf den Weg, was sich als gut erweisen sollte, denn wiederum stieg ich dann doch an einer anderen Stelle ins nächtliche Tokio herauf. Nun war die Not entsprechend groß, natürlich gab es keine Straßenbezeichnungen und auch keinen Hinweis, den ich lesen konnte. Ich würde also einfach ein paar Blocks ablaufen müssen, bis ich die Straße wiederfand, auf der ich gestern vormittag schon gelaufen war, um mir im Theater das Ticket zu besorgen.
Leider führte das nicht zum gewünschten Erfolg, alles sah nachts anders aus, und ich konnte die gesuchte Straßenkreuzung nicht wiederfinden. Zu guter Letzt hielt ich ein Taxi an, das mich dann, wie ich sehen konnte, ganz standesgemäß am Theater vorfuhr.

 

 

Das Kabukiza Theater in Tokyo ist das größte seiner Art in ganz Japan. Es ist ein prächtiger Bau, der 2010, nachdem man das alte Theater abgerissen hatte,  in seiner heutigen Form wieder aufgebaut wurde. Das Theater selbst bestand aber schon seid 1889 an dieser Stelle und war ursprünglich  aus Holz gewesen.  So, wie ich es schon von vielen japanischen Sehenswürdigkeiten berichtet habe,  zerstörten Brände, Erdbeben und zu letzt die Bombenangriffe von 1945 das Theater immer aufs Neue. Heute Abend mit all diesen festlich gekleideten Menschen dort hinein zu gehen, war ein erhebendes Gefühl und die ganze Szenerie versetzte mich in eine gespannte und ebensolche festliche Stimmung. Auch ich hatte mich dafür etwas eleganter gekleidet und war deshalb doch froh, auch meine schwarzen Pumps mit auf die Reise genommen zu haben. Die Wanderschuhe zum schwarzen Rock wären hier etwas seltsam gekommen. Es gab zwei Restaurants und man konnte sowohl zuvor als auch in den Pausen essen oder einen Drink nehmen, aber ich begab mich sofort auf meinen Platz. Mit einem Gefühl der Vorfreude beobachtete ich die eintreffenden Menschen. Es schien ein gesellschaftliches Ereignis zu sein. Man begrüßte sich, winkte sich zu und führte seine Roben und Anzüge erhobenen Hauptes durch die Gänge. Ich saß nicht schlecht im Parkett und hatte von meinem Platz aus den sogenannten „Hanamichi“ (Blumenweg), ganz nah. Über diesen Laufsteg traten meist berühmten Schauspieler auf und machten ihren Weg zur Bühne. Leider durfte man nicht fotografieren.

 

 

Für mich als ausländischen Besucher hatte es einen kleinen elektronischen Guide gegeben, auf welchem ich den Text in englischer Sprache verfolgen konnte.

 

Wie auch bei uns rief ein Gong die Menschen auf ihre Sitze und beim letzten Gongschlag wurde es dunkel. Die ohne Ausnahme männlichen Schauspieler, die auch die Frauenrollen spielten, kamen über die Hanamichi nun sehr nah an mir vorbei durch den Zuschauerrau auf die Bühne. Alles hatte hierbei eine Bedeutung, wer von wo kam, wer auf welchem Teil der Bühne agierte, alles unterlag einer streng festgelegten Hirarchie. Zum Beispiel ist es so, dass Schauspieler, die rechts auf der Bühnenseite agieren, die weniger wichtigen Rollen haben, während links auf der Bühne, die wichtigen Rollen spielen. Die Darsteller stammen häufig aus sehr alten Theaterdynastien und werden sehr verehrt. Die Dame von der Tourismus Information, die mich bei der Auswahl der Karte beraten hatte, geriet geradezu in Verzückung, als sie mir von dem derzeitigen Hauptdarsteller erzählte. Er sei schon über 70, sagte sie mir mit eindringlichem Blick, aber sein Gesicht sei „sooo schön“. Sie erklärte mir auch den Ablauf im Theater und ich machte große Augen, als sie mir darlegte, dass die Aufführungen teilweise 4 und mehr Stunden dauerten. Man konnte aber auch Teil-Aufführungen sehen. Ich entschied mich für einen zweistündigen Aufenthalt, während dem ich zwei Teilstücke sehen konnte, die aber auch für sich alleine als Theaterstück galten.

Dank des Tablets mit den Texten konnte ich dem Geschehen auf der Bühne sehr gut folgen. Die erste Aufführung war die schönste für mich. Es ging um den Traum eines Kaufmannssohnes, der eine Kurtisane so sehr liebte, dass er sein ganzes Geld für sie ausgab und von den entrüsteten Eltern von zu Hause verstoßen wurde. Arm lebte er fortan und auch die Geliebte war nicht mehr an seiner Seite. Nun träumte er sie, unter einem Baum liegend, wieder in seine Arme. Im Traum unterhielt er sich mit ihr und reflektierte die gemeinsame Zeit.
Dank meiner Sitznachbarin, die meine Begeisterung verspürt haben musste und mir zwischendurch immer wieder unaufgefordert ihr Opernglas in die Hand drückte, konnte ich das Geschehen auf der Bühne sehr gut sehen, vor allem die Gesichter, die mir alle tatsächlich weiblich erschienen. Eine Pause verbrachte ich im Restaurant mit einem Sekt und genoss wieder die Gelegenheit, vor allem die Frauen in Ihren standesgemäß prachtvollen Kimonos und ihrem angelegten Schmuck zu bewundern.

Somit hatte ich mit dieser etwas anderen Art des Kunstgenusses meinen letzten Abend in Tokio sehr festlich gestaltet. Sehr gut gestimmt und mit den Bildern der Aufführung noch immer vor Augen, fuhr ich in der nur noch spärlich besetzten U-Bahn zurück zum Hotel. Am nächsten Tag sollte es Richtung Flughafen gehen. Eine letzte Nacht würde ich noch flughafennah in Narita verbringen. Bei der Planung meiner Reise meinte ich, auf Nummer sicher gehen zu müssen und die letzte Nacht schon in Flughafennähe verbringen zu müssen. Das bedauerte ich nun. Wieviel mehr hätte ich in Tokio noch unternehmen können. Den berühmten Tsukiji Fischmarkt hätte ich unbedingt gerne noch sehen mögen oder die stillen Orte in den verschiedenen Parks geniessen und immer wieder die alten traditionellen Ecken, soweit sie noch vorhanden waren. Leider war das Zimmer nicht mehr zu verlängern und so musste ich dem eigenen Plan folgen.
Der Aufenthalt in Narita sollte allerdings eine angenehme Überraschung werden.

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