Hiroshima

 

Schon früh am Morgen war ich mit dem Shinkansen von Osaka Station in Richtung Hiroshima gestartet. Mein Gepäck war kaum richtig verstaut, da meldete die Durchsage schon den nächsten Halt in Kobe. Es ist bemerkenswert, wie schnell man in Japan von einem Ort zum anderen gelangt. Ich sah aus dem Fenster, sah Wohngegenden sich abwechseln mit Wäldern, sah Wasser im Wechsel mit Stadtansichten. Die Landschaften glichen einem deutschen Mittelgebirge im Herbst. Die Blätter waren bunt und die Hügel sanft. Wie im Flug ging die Fahrt und schon kam ich in Hiroshima an.

Wer hätte nicht sofort die Bilder des Atompilzes vor Augen und das Kriegsende 1945 im Kopf wenn der Name dieser Hafenstadt im Südwesten der japanischen Hauptinsel Honshu fällt. Ich hatte nur sehr diffuse Vorstellungen, wie diese Stadt sein würde. Zwar wusste ich, dass ich mir in jedem Fall den Memorial Park und die dazugehörigen Gedenkstätten und vor allem den sogenannten Atombomben – Dome ansehen wollte, aber von der Stadt selbst hatte ich keine Vorstellung.

Wie auch in Osaka war es die große Kunst, den richtigen Ausgang des Bahnhofs zu finden. Hatte man den falschen gewählt, war man unter Umständen im falschen Stadtteil und hatte ein vielfaches für das Taxi zu zahlen. Ich erwischte den richtigen und auch gleich ein Taxi. Das Hotel war schnell erreicht und auch das Einchecken ging sofort. Wiederum hatte ich einen tollen Blick aus dem Fenster und wiederum auf einen Fluss, den Motoyasu River. Alles, was ich bisher auf der Fahrt ins Hotel schon sehen konnte und jetzt aus dem Fenster sah, gefiel mir sehr gut. Dicht ging ich an die Scheibe heran. Dieses Mal war ich vergleichsweise weit unten im 6. Stock untergebracht, – in Osaka genoss ich den Überblick von der 21. Etage aus – aber ich schaute auf den Motoyasu und, ich wollte meinen Augen nicht trauen, konnte von hier aus den Atombomben Dome sehen. Das versprach ein kurzer Spaziergang zu werden. Zu diesem machte ich mich dann auch sogleich auf den Weg.

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Im sogenannten Friedensmuseum begann ich meinen Gang in die Geschichte. Die Eingangshalle war hell und freundlich und auch am Kartenschalter wurde in fließendem Englisch zu den Zutrittsbedingungen informiert. Leider war das östliche Ausstellungsgebäude noch bis Ende Februar geschlossen und die Ausstellung auf den westlichen Teil beschränkt. Der Gang durch die Räume und die Konfrontation, mit der Realität, die von einer Sekunde auf die nächste für die Menschen in Hiroshima entsetzliche Wirklichkeit wurde, löste tiefe Betroffenheit aus. Das waren keine Fotos, eines Atompilzes, wie ich sie aus den Medien kannte, sondern das waren grausame und unvorstellbar gruselige Schicksale und Ereignisse, die einem hier in Hiroshima nahe gebracht wurden. Das Grauen bekam sozusagen Gesichter.

Diese Ausstellung setzt vor allen Dingen auf Sichtbarmachung des Ausmaßes und der Auswirkungen auf die seinerzeit hier lebenden Menschen.
Da sieht man verbrannte Kinderkleider und hörte von der Geschichte des kleinen Mädchens, das auf dem Schulweg war, als das Grauen über die Stadt hereinbrach. Gefunden wurde von Ihr nur noch die Schultasche. Da sieht man das verbeulte und verrostete Dreirad und erfährt, dass es der Vater als einziges Überbleibsel seines dreijährigen Sohnes an seiner statt begraben hatte. Man sieht Haare, die den Menschen Wochen später fast im Ganzen vom Kopf gefallen sind.

Je nachdem wie nah oder fern die Menschen dem Mittelpunkt und dem stärksten Einwirken der radioaktiven Strahlung gewesen waren, ließen die Zeugnisse kein Detail der schrecklichen Wahrheiten aus. Die Steinstufe eines Bankgebäudes, auf dem ein Mensch gesessen hatte, um auf die Öffnung zu warten, lag nun in dieser Vitrine und man sieht, dass nur ein schwarzer Fleck von diesem menschlichen Körper geblieben ist. Der Audioguide, den ich auch in deutscher Sprache hatte ausleihen können, untermalte das ganze mit den Nacherzählungen der Geschichten um diese Menschen herum, soweit man Einzelschicksale hatte rekonstruieren können. Man konnte die nacherzählten Geschichten von Menschen hören, die mitansehen mussten, wie sich kurz nach dem Ereignis, das sie in einer entsprechenden Nähe ereilt hatte, die Haut von ihren Knochen löste. Die Verbrennungen taten höllisch weh, man irrte umher und suchte nach Wasser. Viele tranken in Ihrer Verzweiflung von dem Ascheregen, – auch „Schwarzer Regen“ genannt, – der unmittelbar, nachdem die freigesetzte Energie verdampft war, sich mit Rauch, hochgewirbeltem Staub, Wasserdampf und den radioaktiven Resten der Waffe vermischt hatten, – zu Letzt noch auf die Stadt und Ihre Menschen in einem weiten Umkreis niederging.

Die Ausstellung zeigte aber auch die technischen Details, zeigte Wirkmechanismen der Bombe und man kann sich ein Exponat einer solchen Bombe, die die Amerikaner „Little Boy“ genannt hatten, anschauen.

„Little Boy“ hatte am 6. August 1945 um 8:15 ca. 80% der Stadt Hiroshima sofort total zerstört. Die freigesetzte Energie hatte alles in ihrem Umkreis verdampft, und weiter Entferntes hatte sie in Brand gesetzt. Geschätzt waren es etwa 90000 Menschen, die sofort starben, weitere 90000 starben unmittelbar in den Wochen danach. Die Menschen, die den Angriff noch länger überlebten und teilweise bis heute noch an den Spätfolgen leiden nennt man in Japan die „Hibakusha“

Von den Ausstellungsmachern gewollt, ist ihnen gelungen, dass ich das Museum in bedrückter und betroffener Stimmung in den Memorial Park verlasse. Es bleibt nicht aus, dass Zorn auf die Staatenlenker entsteht, die mit Ihrer Politik in Kauf nehmen, das die Zivilbevölkerung solch unermessliches Leid erfahren muss. In mir streiten Überzeugungen, die mit der ethisch relativistischen Betrachtung Heraklits beginnen, nach welcher der „Krieg als Vater aller Dinge“ zu sehen sei. Und die mit Gedanken, wie sie Remarque seinen Protagonisten im Roman „Im Westen nichts Neues“ anstellen ließ enden. Nach diesen Überlegungen im Roman kann der Krieg nur dann gerecht sein, wenn die Staatsoberhäupter, die ihn wollen und anzetteln, ihn auch persönlich austragen müssen. Diese kriegswilligen Staatenlenker müsste man in ein Stadion schicken, dort könnten sie aufeinander losgehen, und die Zivilbevölkerung müsse lediglich zuschauen. Derjenige, der gewinnt hat den Sieg dann für seine Sache, sein Land entschieden.

 

Am Ausgang sind die Fotos ausgehängt, die Barack Obama bei seinem Besuch im Frühjahr diesen Jahres zeigen. Langsam spaziere ich nun durch den herbstlichen und sonnigen Friedenspark zu der Stelle, an welcher Obama, wie viele andere Staatsoberhäupter zuvor, vor der vermutlich ewig brennenden Friedensflamme seine Ansprache gehalten hat. So wie alle seine Amtskollegen zuvor, hat er seinen Wunsch nach Frieden bekundet. Barack Obama scheint mir ein gutes Beispiel für die relativierende Haltung eines Staatsoberhaupts, der Frieden sucht und lebt, aber Krieg nicht letztgültig ausschliesst, wenn es darum geht, die eigenen in absoluter Freiheit entstandenen Werte und Überzeugungen zu verteidigen.
Dass diese Überlegungen an dieser Stelle viel zu kurzgegriffen sind, ist klar. Aber man kann nicht ohne diese Zerrissenheit und ohne diese Auseinandersetzung eine solche Ausstellung verlassen.

 

Literaturempfehlung:

Der schwarze Fleck auf der Treppe des Bankgebäudes,   auf der zur Zeit der Atombombenexplosion ein Mensch gesessen hatte, der ihn hinterließ, wurde für den belgischen Autor Didier Alicante zum zentralen Motiv. In einer Graphic Novel erzählt oder besser dokumentiert er die Geschichte dieses Mannes und nichts weniger als die Entwicklung der Atombombe beginnend beim Urknall. Es entstand ein 450 Seiten starkes Buch. Historie im Comicformat.

 

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