Wochenende auf Aitutaki II

Auf die morgendliche Runde schwimmen möchte ich nicht verzichten, aber das Frühstück, das muss kurz ausfallen. Schon um 9 Uhr fahre ich los zur Mietstation um den Toyota abzugeben. Begleitet von der freundlichen Stimme in japanisch, die mir den Weg oder die Welt erklärt, wer weiß, fahre ich, Fenster offen, in Richtung Flughafen. Nicht weit von dort finde ich auch das Grundstück wieder, wo der Wagen abgestellt werden muss.

Um 10 Uhr beginnt der Gottesdienst in Arutanga. Dann sollte ich in der Kirche sein. Eigentlich hätte ich es wissen müssen, die Rückgabe wird mindestens so lange dauern, wie die Anmietung. Bedächtig sieht sich Candy den Vertrag an, gemächlich geht sie oder besser gesagt schlurft sie irgendwohin zu einem Kopierer. Es ist eine Abwicklung im Zeitlupentempo. Ich hoffe nur, dass nicht noch ihr Mann oder eines der Kinder kommt und eine Frage hat, dann kann ich den Kirchenbesuch vergessen. Aber sie weiß Bescheid. „Wann musst Du in der Kirche sein?“, fragt sie, und auch ihre Worte schleichen so langsam und behutsam über die Lippen, wie ihre Schritte über den Boden ziehen. Die Statur lässt auch gar kein anderes Tempo zu. Es ist einfach nicht vorstellbar, dass dieser Körper schnellere Bewegungen macht, die ausladenden Hüften und der üppige Busen könnten sicher in keinem schnellere Rhythmus schwingen, das sähe falsch aus, unrhythmisch. Irgendwann, nachdem sie sich das Auto noch angeschaut hat, gehen wir gemächlich zu ihrem Wagen. Alles braucht seine Zeit, das Einsteigen ebenso wie dann auch das Fahren. Keinen Km/h schneller als 40 fährt sie die kleine Inselstraße entlang. Wenn sie in weiter Ferne einen Wagen quer kommen sieht, nimmt sie schon den Fuss vom Gas. Weit weg, viele Kilometer entfernt, können so die Autos aus den kleinen Einfahrten oder Querstraßen hinaus. Ich habe mich in mein Schicksal ergeben. Vermutlich kann ich ja auch noch nach dem Beginn des Gottesdienstes in die Kirche. Menema wird mich um 11:30 abholen. Dann will Sie mir auch noch ihr zu Hause zeigen.

 

Geschafft. Ich steige aus, bedanke mich für die Fahrt und winke, während mir Candy überraschenderweise ein liebevolles Lächeln schenkt. Als eine der letzten Besucher gehe ich in die Kirche und finde einen Platz mit guter Sicht in den hinteren Reihen. Die Kirche ist nahezu voll besetzt. Die Besucher, ob groß oder klein sind in ihrem Sonntagsstaat. Das ist eine Freude anzusehen. Es macht den Sonntag zu etwas Besonderem. Feierlich ist mir zu Mute und den Menschen, die sich momentan noch über die Bänke hin weg mit ihren Bekannten und Nachbarn unterhalten, wie es aussieht, auch. Hier hat der Alltag heute, am Sonntag keinen Platz. Sie tragen ihre hübschesten Kleider, ihre besten Anzüge, und die Hüte und Häupter der Frauen sind geschmückt mit den zauberhaftesten Blumenkränzen. Trotz der dicken Mauern ist es heiß herinnen. Die Fenster sind geöffnet und an den Wänden rasen die Ventilatoren auf höchster Stufe.

 

 

Dann beginnt der Gottesdienst. Der Pfarrer begrüßt die Gemeinde, aber auch die vereinzelt in den Reihen versteckten Gäste, die Touristen. Es sind nicht viele, die sich, so wie ich, vor allem von den schönen Gesängen verzaubern lassen wollen. Dann erklingt das erste Lied. Mein Gott, kann man nur sagen, ist das schön, umgeben von begnadeten, mehrstimmigen Gesängen, die einem davon tragen. Die Texte werden mit dem Beamer an eine Wand geworfen, ebenso wie der Text der Predigt, die überwiegend in Cook Island Maori gehalten wird. Mein Blick schweift in das Blau des Himmels, den ich durch die geöffneten Fenster sehen kann und in die Blätter der dort wachsenden Bäume. Musik und Gesänge vereinen sich mit dem Wind und nehmen mich mit hinaus in die Schöpfung, in die Natur. Ein Moment der Vollkommenheit, Ergriffenheit und Ruhe in meinem Herzen.

 

Pünktlich steht Menema vor der Kirche und winkt. Freudig steige ich ins Auto. Sie will wissen wie es war und ich berichte voll Begeisterung von dem lebendigen und schönen Gottesdienst. Sie gesteht mir, dass sie schon lange nicht mehr in der Kirche war und auch wenn sie es sich immer wieder einmal vornimmt, wird daraus nichts. Zuviel Arbeit, zuwenig Zeit. Mir wird nicht zum ersten Mal seit dem ich sie kenne bewusst, wie sehr sie in unserem westlichen Sinne funktioniert. Ich hoffe, sie ist glücklich damit. Meist erlebe ich sie, so wie die vielen anderen Inselbewohner, lachend und dennoch bin ich mir oft nicht sicher. Tief in meinem Inneren meine ich, zu sehen, dass sie es schwer hat, dass sie sich aufopfert, dass sie zu viele Antreiber hat. Ich mag sie sehr und glaube die Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit.

Erstaunt bin ich nicht, als wir auf den gepflegten Rasen des großen Hauses vorfahren. Nicht anders hätte ich mir das Anwesen vorgestellt. Gewiss war ich schon das eine oder andere Mal während meiner Inselrundfahrten an diesem Haus vorbeigekommen. Ihr Mann betreibt auf der Insel eine Tauchschule, während ihr Business die Vermietung der Beachvilla ist. Dieses betreibt Menema mit Stolz, viel Enthusiasmus und sehr viel Engagement. Ihre Dienstleistungsmentalität ist uneingeschränkt und mit viel Herz angereichert. Ich bin nun oftmals damit in Berührung gekommen. Menema versteht auch eine angenehme Balance zwischen Nähe und Distanz zu schaffen. Heute soll ich nun endlich auch ihren Mann kennen lernen. Er ist beim sonntäglichen Mittagsschlaf. Die Tochter möchte zu Ihrer Freundin gefahren werden. In der Tauchstation des Ehemanns sitzen wir zusammen trinken etwas und plaudern über die Lebensläufe. Auch Menemas Mann war „abroad”. Wie sie, spricht er ein sehr gutes Englisch. Sie haben sich in Neuseeland kennen gelernt. Aber er war auch schon in Amerika. 2004 haben sie mit der Tauchschule hier auf Aitutaki begonnen. Er bietet Tauchkurse an, begleitet Filmteams, oder Kurzzeitbesucher zu den besten Tauchgründen. Früher wohnten sie an der Beach, in eben jenem Haus, welches sie jetzt vermieten. Die Geschäfte laufen gut.
Die Tochter quengelt, sie möchte zu ihrer Freundin. Menema schlägt vor, sie solle zu Fuss gehen. Dann möchte sie aber doch lieber warten, bis sie mitfahren kann, wenn Menema mich wieder zurück bringt. Als es soweit ist, und wir alle drei im Auto sitzen, muss ich feststellen, dass sie ihre Tochter nur bis zum Nachbargrundstück bringt. Dort wohnt sie schon, die Freundin. Es wären nur wenige Meter gewesen, welche die Tochter hätte laufen müssen. Erstaunt wende ich mich wieder Menema und unserem Gespräch zu.
Sie chauffiert mich dann auch bis vor die Haustür. In wenigen Stunden wird sie wieder hier sein, um mich zu meinem abendlichen Flug nach Rarotonga zu bringen.

Für mich heißt es jetzt packen und Abschied nehmen von einem außergewöhnlichen Ort. Ein Geheimtip, bis jetzt, auch wenn Aitutaki oft zu einem der schönsten Atolle der Welt gezählt wird.

 

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