Von Melbourne nach Sydney IV – Silvester in Canberra

Silvester in Canberra

Nun saßen wir also in Canberra. Die Entscheidung war getroffen, der Hotelaufenthalt verlängert und die Träume von einem Jahreswechsel mit Blick auf das Opernhaus und die Harbour Bridge von Sydney waren begraben.
Wir machten uns auf den Weg in das Zentrum. Eigentlich sollte das Hotel im Herzen der Stadt liegen, aber davon war bisher nichts zu sehen. Es lag an einer Hauptstraße, der Northbourne Avenue, die direkt auf den City Hill Park zuführte. Dieser folgten wir auch genau in dieser Richtung. Aber es war erschreckend, die Stadt war leer. Canberra am 31.12.2016 glich einer Geisterstadt. Es war glühend heiß. Das Thermometer stieg längst über die 30°C Marke. Große Boulevards, große Kreuzungen an deren Fußgängerampel wir eine gefühlte Ewigkeit warteten, auf nicht mehr warteten, als den Wechsel der Farbe oder auf maximal ein Auto, das da stand und von dem wir nicht einmal wussten, ob es überhaupt fahren würde.

 

 

Geschäfte waren geschlossen. Häuser schienen unbewohnt. Etwas über 350000 Einwohner sollte diese Stadt haben, aber wir waren in einer Geisterstadt. Meine Stimmung war gedämpft. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er gerne Vergleiche zieht und so versuchte ich das auch. Mir wollte aber keine Stadt einfallen, die mit dieser verlassenen Hauptstadt zu vergleichen war. Erst nach langem Überlegen fiel mir Ottawa ein. Das hatte ich einst als ganz junge Frau ebenfalls so herausgeputzt, sauber und ordentlich jedoch stinklangweilig empfunden. Auch Ottawa war, so wie Canberra, eine Kompromisslösung um anderen Städten nicht den Vorzug geben zu müssen und es hatte zur damaligen Zeit, als ich es besuchte, nur um die 300000 Einwohner. Auch wenn es gewisse Ähnlichkeiten gab, glaubte ich dennoch nicht, dass es dort jemals so ausgestorben zugehen könnte.

Der Weg in Richtung des künstlichen Lakes war ohne Schatten und wir folgten ihm dann auch nicht weiter. Canberra ist nach einem Plan entstanden, der aus einem Architektenwettbewerb entstanden ist. Sie ist geometrisch angelegt und so groß- und weitläufig, dass sie zu Fuss kaum zu erobern ist. Mir schien die Idee des Reißbretts niemals in der Wirklichkeit angekommen.

Auf meinem Einkaufszettel stand Wimperntusche, meine war irgendwo verloren gegangen. Ich nutzte die seltene Gelegenheit, und fragte einen Menschen, der uns begegnete, wo ich denn vielleicht heute, am Morgen des 31.12. 2016, noch etwas kaufen könne und so wurden wir auf eine Shopping Mall aufmerksam, die tatsächlich geöffnet hatte. Um diese Mall herum gab es sogar kleine Cafés und Fast Food Restaurants, so dass wir dort sitzen konnten, abwarten und Tee trinken.

 

Meine Enttäuschung hielt an und in meinem Inneren tobte sich auch immer wieder die Verzweiflung aus. Das, was hier abging, oder besser gesagt nicht abging, das war einfach ein zu großer Kontrast zu dem, was ich nun schon seit mehr als einem Jahr für Silvester geplant hatte. In der Kosmetik Abteilung der Mall fragte ich eine junge und aufgeschlossenen Verkäuferin, was sie denn so an einem Silvester Abend in Canberra mache, oder was sie uns empfehlen könne. Sie selbst wolle auf einer privaten Party feiern, aber uns empfehle sie ein Weinlokal am Lake. Sie wisse allerdings nicht, ob es bis 24 Uhr geöffnet hätte.

 

 

Schwerfällig und von der glühenden Hitze gerädert, schlich ich schon früh zurück zum Hotel. F. kam etwas später um mitzuteilen, dass er von zwei geplanten Feuerwerksshows gehört habe. „Mmh“, nur müde hob ich den immer noch gesenkten Kopf. Wer sollte hier Feuerwerke abfackeln und vor allen Dingen für wen, fragte ich mich und widmete mich wieder anderen Dingen. Es gab im Hotel auch ein Schwimmbad. Dort versuchte ich zwischen einigen jungen Pärchen, die es mir nicht leicht machen wollten, da sie vermutlich viel lieber mit sich selbst und ihren Sektflaschen alleine geblieben wären, zu schwimmen. Um acht Uhr wurden wir dann alle vom Hotelangestellten aufgefordert, zu gehen, das Schwimmbad wurde geschlossen.

Kaum im Appartement zurück, fing es draußen in der Dämmerung an zu knallen. Das erste der beiden Feuerwerke war über den Bäumen vor unserem Fenster zu sehen. Ich verzichtete aufs Zuschauen und kleidete mich an für den Abend. Wir würden auf der Suche nach einem Restaurant nochmals in Richtung der Innenstadt gehen. Von da könnten wir um Mitternacht vielleicht noch das zweite, angekündigte Feuerwerk sehen.

Ohne große Erwartungen gingen wir los in Richtung Stadtmitte. Irgend etwas hatte sich allerdings verändert. Zunächst waren die Temperaturen etwas gesunken und schon auf dem Weg waren erheblich mehr Leute unterwegs als am Vormittag. Die Restaurants, die wir fanden, waren alle mitt gut gelaunten Menschen voll besetzt. Wo kamen sie plötzlich alle her? Auf den Balkonen an denen wir vorbeikamen, standen Leute und hielten Gläser in der Hand, junge Leute gingen in Gruppen, so wie wir,  in Richtung Innenstadt.
Es war Glücksache, dass wir in einem sehr modernen Restaurant mit vielen jungen Menschen dann noch zwei Plätze an einer Art Tresen bekommen konnten. Ein Tisch war im „Eightysix“ nicht mehr zu haben. Das Angebot an Speisen war groß und extravagant, die Auswahl an guten Weinen ebenso. Die Barkeeper und auch die Bedienungen hatten sich lustig verkleidet, es herrschte eine ausgelassene und feierliche Stimmung an den Tischen. Die junge Serviererin nahm sich trotz des Andrangs sehr viel Zeit uns bei der Auswahl der Gerichte und des Weins zu beraten. Sogar für eine sehr nette Plauderei über das Reisen, die Welt und Canberra ließ sie sich hinreisen. Ich vermag es nicht mehr zu sagen, wann es passierte, aber irgendwann passierte es. Ich entspannte mich, meine Stimmung kippte um, und es stellte sich eine fröhliche Leichtigkeit ein. Als wir das Restaurant nach elf Uhr verliessen waren die Straßen ein buntes Gewimmel von Menschen. Das Canberra des Vormittags hatte nicht das geringste zu tun mit dem Canberra dieser Nacht.

Canberra ist eine junge Stadt. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 32 Jahren und nur ca. 8% der Menschen sind älter als 65 Jahre. Das zeigte sich nun in der Silvester Nacht ganz deutlich. In allen Straßen wurde fröhlich und ausgelassen gefeiert und getanzt. Da, wo wir am Vormittag nur leere Strassen und Bänke gesehen hatten, tummelten sich die hübsch herausgeputzten jungen Leute. Canberra war eine einzige Party mit Open Air Bühnen, Feten in Häusern und mit Tanz durch die Straßen. Es war unmöglich sich der ausgelassenen Stimmung zu entziehen. Dann lief der Countdown, es ging auf 12 Uhr zu. Wir holten uns schnell an der Theke eines Restaurants zwei Gläser Sekt und Punkt zwölf setzte das großartige Feuerwerk ein, wir stießen an und ich muss gestehen, ich war versöhnt. Es war so entspannt, die anwesende Polizei war es auch. Es ging ausgelassen, aber auch sehr höflich zu. Viele der jungen Leute sprachen mich an, sie sangen mit mir, umarmten mich und es war ein Gefühl, wie unter Bekannten zu sein, als wir gemeinsam mit vielen anderen unter oh- und ah- Rufen das auf eine Klimax hinsteuernde Lichterspektakel am Himmel betrachteten. Eine schöne Silvesternacht war das, ohne Gedränge und doch inmitten des pulsierenden Canberras. Ich tanzte noch ein wenig zur Techno Musik und bei anderen Open Air Bühnen in der Stadt, und zu guter Letzt in Richtung des Hotels, in welchem wir in bester Stimmung in den frühen Morgenstunden ankamen.

Weder am Morgen vor noch am Tag nach Silvester hörte man irgendwo Böllerschüsse, so wie bei uns in Deutschland. Die Australier, zumindest hier in Canberra, scheinen das nicht zu kennen. Alles konzentrierte sich auf die beiden großen Feuerwerke über der Stadt in der Silvesternacht.

Diese zunächst unfreiwillige Nacht in der Hauptstadt war voller Musik, freundlicher, aufgeschlossener, junger Menschen und schöner Augenblicke gewesen. Man hatte sich gezeigt, man hatte ausgelassen gefeiert, man sah und wurde gesehen. Über eines konnte diese Stimmung jedoch zu keiner Zeit hinwegtäuschen. Canberra war eine Stadt aus der Retorte und würde es vermutlich bleiben. Die Menschen, die es hierhin verschlug, machten Karrieren in der Verwaltung, im Finanzwesen oder mit der Jurisprudenz. Hier war nichts gewachsen, hier war nichts entstanden aus dem „Trial and Error“ Jahrhunderte langer Stadtgeschichte, nichts war dem Zufall überlassen. Hier gab es keine Altstadt, hier gab es keine gegerbten Gesichter vielseitigster Lebensgeschichten. Hier gab es Kopf und Verstand, Kunst und Lifestyle. Hier hin waren die Menschen passend zu ihren Karriereabsichten gezogen. Sie hatten den Wunsch Ihre Sprößlinge auf den besten Schulen und Universitäten zu wissen und sich selbst auf der Karriereleiter. Wenn hier je eine Tradition entstehen sollte, dann bestünde sie aus dem gemeinsamen Glauben an die „Power for Success“ , den die Menschen teilten und aus dem der Lokalkolorit entstand. Die Stadtplaner hatten dafür einen übergroßen Raum geschaffen, ein fertiges Stadtmodell in das gewiss nicht jeder passte. Kein sichtbares Altsein, Erfolglos- oder auch nur Anderssein. Es wunderte mich dann auch nur bedingt, als ich auf dem sogenannten Civic Walk durch die Innenstadt, in nächster Nähe zu den Bürogebäuden, Archiven und Verwaltungsbauten, über die Skulptur mit dem Titel „Resilience“ stolperte, die von dem in Canberra ansässigen kroatischen Bildhauer Ante Dabro stammte. Resilience war zweifelsohne das Zauberwort, eine Grundbedingung, wollte man in diesem Stadtmodell erfolgreich sein und überleben. Für mich sagte diese Skulptur sehr viel über die Einwohner dieser Stadt aus, mit denen ich so ausgelassen 2017 begonnen hatte.

“Resilience”
Ante Dabro

 

 

Gegen 10:30 Uhr verließen wir Canberra Richtung Sydney. Eine vage Ahnung sagte uns, dass wir vermutlich sogar die angenehmere Silvesterfeier erlebt hatten, unaufgeregt, ohne Gedränge, mit entspannten und gut gelaunten Menschen. Touristen waren in Canberra eher nicht aufgetaucht. Diese hatten sich in Sydney getummelt und so schien uns die Stadt, als wir am 01. Januar 2017 hineinfuhren, immer noch mit Touristen überlaufen. Um das Opernhaus wimmelte es von Menschen aller Nationen. Die Absperrungen der Nacht waren aufgehoben. Parkplätze waren noch immer rar oder nur für viel Geld zu finden. Das Wetter hier an der Küste war durchwachsen. Sonne und Regen wechselten beständig.

Für uns hieß es Abschied nehmen. Ab heute Mittag 15 Uhr würde ich meine Reise wieder alleine fortsetzen. Ich würde noch etwas Zeit haben, Sydney zu erkunden und morgen ging dann auch mein Flug zurück nach Neuseeland. Von Auckland aus würde ich in die Südsee starten. Australia Good Bye! Es hatte mir hier “Down under”  sehr viel besser gefallen, als ich es erwartet hatte. Dazu hatten vielfach die offenen, unkomplizierten  und gut gelaunten Menschen beigetragen. Sollte ich die Gelegenheit haben, würde ich jederzeit wieder nach Australien reisen, um gerne auch noch andere Regionen zu sehen und zu erkunden. Auf Wiedersehen Australien?  Man weiß nie…..

Ein letzter Blick auf Sydney aus dem Flugzeugfenster.

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