“Kunst und Liebe …” in Lindau

„Kunst und Liebe …“ in Lindau.

 

Wie könnte ich aus Lindau eilen, wenn doch an jeder Ecke Plakate mit vielversprechenden Bildern zum Kunstgenuss einladen. Viel zu verlockend sind Titel und Thema des angekündigten Ereignisses. 

„Paula & Otto“, „Kunst und Liebe im Aufbruch“ lautet das Thema der zehnten Sonderausstellung des Kunstmuseums, welches seit dem Umbau des Stadtmuseums in der ehemaligen Hauptpost einen kleinen aber feinen Platz gefunden hat. 

Das Ehepaar Modersohn-Becker aus der bekannten Worpsweder Künstlerkolonie steht wie kaum ein anderes Künstlerpaar für den Aufbruch der Kunst in die Moderne.  Mindestens so sehr wie für die damalige Kunst  steht dieser Aufbruch aber auch für die moderne Art der Beziehung. „Das Thema Kunst und Liebe könn(t)e“, in diesem Fall sogar “mit dem aktuell viel diskutierten Begriffspaar „Familie und Beruf“ besetzt werden“, führt es die Kuratorin Sylvia Wölfle aus, denn auch bei diesen beiden Künstlern sei es damals schon „um die Vereinbarung von Beruf und Familie gegangen“.

Spannend, nur leider bekomme ich kein Eintrittsticket. In Zeiten von Corona geht es nur mit Reservierung eines Zeitfensters. Die Besucherzahl wird begrenzt. Noch am gleichen Tag reserviere ich mir im Internet meinen Zugang für einen anderen Werktag, was überaus einfach geht.  Umgehend erhalte ich die freundliche Bestätigung meiner Buchung. 

Mit sicherer Maske ausgestattet und eigenen Kopfhörern für den Audioguide kann ich dann schon wenige Tage später die Ausstellung besuchen. Die Parkplatzsituation auf der Insel Lindau ist dramatisch. Ich habe Glück, dass ich nach einigen Runden tatsächlich unweit des Museums einen Parkplatz finde. Außer Atem und mit etwas Verspätung komme ich am Ticketschalter an. Glück gehabt, denn als ich dann die Ausstellungsräume betrete, bin ich erst einmal alleine im Raum. Der wirklich zu empfehlende Audioguide bringt die Kunstwerke und das jeweilige Umfeld, in welchem sie entstanden, eindrucksvoll nahe. Die Werke sind paarweise, dialogisch angeordnet und zeigen, wie das Künstlerpaar gleiche Sujets in der je eigenen Malweise darstellte.

Ottos Werke gefallen mir zunächst noch besser, sind sie doch stimmungsvoll, erzählerisch und zeigen Empfindsamkeit. Doch je weiter die chronologisch angeordnete Ausstellung auf mich wirkt, entdecke ich meine Begeisterung für Paula. Ist diese zu Beginn noch auf vereinfachte Formen und Farben verlegt, so wandelt sich ihre Malweise, wie unschwer zu erkennen ist, durch die Einflüsse der französischen Impressionisten, die sie während ihrer Aufenthalte in Paris studiert. Offensichtlich bewundert sie vor allen Dingen Cézanne. Sie nimmt sich dem Thema Stilleben an. Die Motive der beiden belegen nun auch die räumliche Trennung des Paares in dieser Zeit, wenn auch Otto sich, inspiriert von der künstlerischen Entwicklung seiner Frau,  später ebenfalls in diesem Genre versucht. 

Das Mädchenbild mit gespreiztem Finger und der Halbakt „Mutter mit Kind an der Brust“ überzeugen mich vollends von Paula. Eine unglaubliche künstlerische Entwicklung. Nahezu vollkommen ist für mich die Mutter mit Kind an der Brust, deren Darstellung mich auf sehr vielen Ebenen des Fühlens anspricht. Zart und dennoch eindrücklich zeigen sich die Gefühle von Mutter und Kind. Lange verweile ich davor und denke,  hier hat Paula ihre Empfindungen gemalt.  

Von Paula Modesohn-Becker ist es das letzte Bild in dieser Ausstellung. Es folgen noch weitere von Otto. Paula stirbt wenige Tage nach der Geburt ihres ersten Kindes 1907 im Alter von nur 31 Jahren. Bemerkenswert der Tagebucheintrag Paulas von 1900, der da lautet: „Ich weiß, ich werden nicht sehr lange leben. Aber ist das denn traurig? Ist ein Fest schöner, weil es länger ist? Und mein Leben ist ein Fest, ein kurzes intensives Fest. (…) Und wenn denn die Liebe mir noch blüht, vordem ich scheide, und wenn ich drei gute Bilder gemalt habe, dann will ich gern scheiden mit Blumen in den Händen und im Haar“. 

Otto, der die Kunst seiner Frau immer bewundert hat, will nun ebenfalls nach mehr Freiheit in seiner Malerei streben. Später sucht er den Wechsel der Motive. Er zieht in die Region der vorderen Alpen,  ins Allgäu. Seine Malweise wird vereinfachter, reduzierter. 

Tief beeindruckt komme ich am Ende der Ausstellung an. Tief berührt auch von dieser außergewöhnlichen Beziehung, die keinesfalls immer einfach und ohne Tränen war. Aber sie wuchsen aneinander. Diese Beziehung förderte die Entwicklung beider in der Kunst und als Ehepartner. Nicht einmal in unserer heutigen Zeit vermag ich sehr viele Paare auszumachen, die es schaffen, derart im Einklang und auf Augenhöhe zu leben. Gerade der hinter uns liegende Lockdown und die dabei viel zu oft von mir beobachteten Beispiele,  in denen für mich als emanzipiert geltende Frauen,  in alte Rollenbilder zurückfallen mussten,  hat mich in dieser Hinsicht aufgeschreckt und nachhaltig verstört. 

So viel mehr ließe sich von meinen Eindrücken in dieser Ausstellung berichten. Ich belasse es bei dieser sehr verkürzten Darstellung und hoffe, dass ich Lust machen konnte und das Interesse wecken,  mehr über dieses Künstlerpaar zu erfahren. Das Museum verlasse ich mit einem kleinen Büchlein. Von dem Briefwechsel zwischen Paula Modersohn-Becker mit Rainer Maria Rilke verspreche ich mir noch einen umfangreicheren Zugang zu dieser wundervollen Künstlerin. 

Hier noch aus Ottos Tagebuch ein vielsagendes Zitat zum Abschluss: 

„Wundervoll ist dies wechselseitige geben und nehmen; ich fühle wie ich lerne an ihr und mit ihr. Unser Verhältniß ist zu schön, schöner als ich je gedacht, ich bin wahrhaft glücklich, sie ist eine echte Künstlerin, wie es wenige gibt und er Welt, sie hat etwas ganz seltenes. „

 

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