Der Sonnenschein blieb mir hold. Osaka umfing mich nun auch noch mit dem Zauber des herbstlichen Gingkobaums. Wie schon der alte Goethe, liebe ich diesen Baum im besonderen Maße. Es sah ganz danach aus, daß es den Japanern in der Präfektur Osaka ebenso geht, Sie haben Ihn zu Ihrem Präfekturbaum erkoren Zu Ihrem Vogel haben Sie den Büffelkopfwürger gemacht, dem ich bisher aber nicht begegnet bin. Vielleicht hätte ich mich dazu mehr in Kobe aufhalten müssen. Ohne großartige Erwartungen war ich nach Osaka gekommen. Es war die Stadt, von welcher aus ich am einfachsten sowohl in südliche Richtung als auch in die Mitte Japans reisen konnte. War ich mit geringen Erwartungen in diese Stadt gekommen, so erlag ich optisch schon bei meinem ersten Spaziergang, dem unerschöpflichen Gingko Zauber.
Mit dem Zug war ich bis zur Osaka Station gefahren, um von dort mit einem Taxi, so wie es Carsten mir empfohlen hatte, zu meinem Hotel zu fahren.
Zunächst wurde ich allerdings erschlagen von der Größe des zentralen Bahnhofs. Ich hatte einige Mühe, meinen Weg zu einem der Ausgänge zu finden. Taxi stand zwar angeschrieben, aber dem Schild folgend, durch die Tür ins Freie tretend, stand ich nur einer sehr gut befahrenen Straße gegenüber. Vollbremsung. Der Orientierungssinn war auf Linksverkehr umzulenken. Ich würde den Bahnhof umrunden müssen, dachte ich, als geradewegs ein Taxi vor dem Fußgängerüberweg zum Stehen kam, den ich soeben überqueren wollte. Ich versuchte es, hielt die Hand hoch und siehe da, der Fahrer bedeutete mir, weiter vorn am Seitenrand für mich halten zu wollen. Es sollte nicht der letzte Taxifahrer bleiben, der angesichts des Gewichts von meinem Koffer innehalten würde, schnaufend, um mit neuem Anlauf das Teil in den Kofferraum zu wuchten.
Im Hotel angekommen, es war gerade einmal 12 Uhr mittags, konnte ich mein Zimmer noch nicht beziehen. Man wollte mein Gepäck verstauen und dann schon aufs Zimmer bringen, während ich die erste Sightseeing Tour unternehmen könne. Befreit von all dem Gepäck lief ich los, lief gegenüber des Hotels auf ein Firmengelände und fand mich inmitten eines wunderschön angelegten japanischen Gartens.
Auf einem der vielen im Grün versteckten Sitzsteinen nahm ich mein erstes japanisches Mittagsmahl ein. Es bestand aus einem dreieckig verpackten Reisklumpen mit einem Hauch von Karotte dazwischen. Dazu ein kaltes Kaffeegetränk. Ich hatte beides und einen Vorrat an Wasser in einem der an jeder Ecke befindlichen 7Eleven Läden gekauft Das Gesicht in die Sonne haltend, wartete ich geduldig, dass, nach altem Indianerglauben, auch meine Seele in Japan ankommen würde. Mein Körper und vor allem meine großen Augen waren es schon.
Noch ein geraume Zeit beobachtete ich die durchgehend sehr elegant gekleideten Angestellten bei Ihren Rauch-, und Handyanruf-pausen oder einfach dabei, wie sie, so wie ich, mit einem kleinen Snack in der Sonne saßen. Die meisten eilten eiligst den Aufzügen entgegen.
Eine erste Vorstellung japanischen Gemüts ereignete sich dann aber zu meinen Füssen. Ein kleines, fahriges, älteres japanisches Männlein lief, breit grinsend ins Handy sprechend, sich immer wieder verneigend umher. Alles an ihm war in Bewegung, die viel zu weiten Anzugshosen schlackerten um seine dünnen Beinchen, genauso wie die Rockschösse seiner ach so großen Anzugsjacke hinter ihm her wehten. Er musste Grund zu ergreifender Freude haben, dachte ich. Vielleicht hat man ihm die Genesung seiner Frau aus dem Krankenhaus gemeldet, oder die Geburt seines Enkelkinds. Was immer es auch war, er schien ergriffen. Ich war noch beim Ausmalen des möglichen Hintergrunds, da fiel er auch schon, für mich völlig unvermittelt und rasch auf seine Knie, verbeugte sich und stammelte, wie mir schien, Dankeswünsche in sein Mobiltelefon. Auf Knien sitzend verbeugte er sich inständig und ohne Unterlass vor seinem imaginären Gegenüber und lachte und dankte und dankte und lachte. Wer weiß, vielleicht war ja auch der Boss am anderen Ende der Verbindung gewesen, der ihm nun nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit ein Gehaltserhöhung versprochen hatte.
Das Danken in Japan hat etwas inflationäres, ebenso wie das Entschuldigen. Kaum ein Satz, kaum eine Geste, kaum eine noch so geringfügige Begegnung und sei es nur mit den Augen, findet ohne eine der beiden Floskeln statt. Das erkennend, wurde das „arigato gozaimas,“ ebenso wie das „sumimasen”, zu den beiden Zauberworten, die ich in meinem Japanischkurs gelernt hatte und, die mir immer wieder auch die Aufmerksamkeit und Anerkennung meiner Gegenüber erbrachten. Wann es an der Zeit sein würde, dass ich den Bruch meiner Kniescheiben riskieren musste, dass stand leider nicht auf dem Stundenplan. Vielleicht wird es dann im Kurs A/2 behandelt. Zum jetzigen Zeitpunkt, hatte ich noch fest vor, meinen Kurs an der VHS weiterzuführen.
Langsam ging ich weiter, überquerte einen der vielen Flüsse Osakas und schlenderte durch die nächste goldleuchtende Gingobaumallee.
Das Jetlag machte sich immer wieder mit Attacken von heftiger Müdigkeit bemerkbar Ich wollte und sollte doch nicht, einfach nur in ein Bett. Ich steuerte das Hotel an. Für die ersten beiden Tage hatte ich mich noch für eine gehobenen Klasse entschieden, dass würde im Verlauf der weiteren Reise durch Japan ein downgrad erfahren.
Also, getreu dem Motto meiner Nichte „Spielt so lange ihr könnt“ in leicht abgewandelter Form, sagte ich mir, genieße solange Du es kannst und fiel, keine Knochenbrüche riskierend, erst einmal auf die wundervolle Boxspring Matratze. Nicht ohne noch mit einem letzten Blick, bevor ich in den Tiefschlaf verfiel, den Ausblick auf die Skyline hinter dem Fluss zu würdigen.