Die Sonne, die durchs seitliche Fenster der Beachvilla scheint, kitzelt mir ein Lächeln aufs Gesicht und ich springe mit Unternehmungslust aus dem großen Bett. Es ist früher Samstagmorgen und beim Öffnen der Schiebetüren zur Terrasse hin bahnt sich ein zarter, angenehmer Wind den Weg in den Raum. Noch während ich mein Frühstück zubereite, mischen sich weitere Gerüche in die kleine Brise. Es riecht nach Rauch und Verbranntem. Es dauert nicht lange, und die Gerüche werden durch Geräusche von kraftvoll tuckernden Rasenmähern begleitet. Es ist Samstag auf Aitutaki und wie es scheint, sind alle, ob jung oder alt dabei, zur Herstellung der Bilderbuchidylle dieses kleinen, schmucken Inselchen beizutragen.
Die Häuser und Grundstücke werden auf Vordermann gebracht. Da werden die trockenen Palmwedel und andere Blätter von Büschen und Bäumen, die auf den saftig grünen Rasenflächen liegen, zusammengerecht und gesammelt, um sie dann auf einem Haufen liegend, verbrennen zu können. Das passiert hier und da auch in der Woche, aber jetzt am Wochenende ist es Pflichtprogramm der Hausbesitzer. Die ganze Familie ist am Hausputz beteiligt. Es soll schön aussehen, wenn sich am Abend die Familie zum BBQ einfindet oder morgen, am Sonntag, gemütlich im Schatten der Vordächer oder Palmen ihr Sonntagsessen nach der Kirche zu sich nimmt. Auch Menema ist samt Tochter vorgefahren und beide rechen kraftvoll die teilweise großen und schweren Blätter auf dem Rasen und auf dem weißen Sand der Beach zusammen.
Nach einem von all diesen Geräuschen und Düften begleiteten Frühstück auf meiner Terrasse, nutze ich die vergleichsweise niedrigen Temperaturen des Morgens um mit dem Auto meine Besorgungen zu machen. Mit einem kleinen Einkaufszettel in der Hand falle ich in die tiefen Sitze des alten Toyotas, starte den Motor und lasse, wie immer schmunzelnd, die mit zierlicher Stimme in japanisch vorgetragene Ansage, des Navigationsgeräts über mich ergehen. Vermutlich ist es die Karte von Tokio oder einer anderen japanischen Stadt, die auf dem kleinen Bildschirm erscheint, und immer wieder korrigiert mich die weibliche Stimme, wenn sie meint, dass ich falsch abgebogen sei. Es ist schwer, das Gerät abzuschalten, aber früher oder später gelingt es mir doch immer. Mit geöffneten Fenstern fahre ich über die samstäglich duftende Insel und staune über die Emsigkeit und den Fleiß der Bewohner. In den Läden versorge ich mich auch für Sonntag, an welchem hier Ruhetag ist und alle Läden samt Tankstelle geschlossen sein werden. Auch wenn ich einige der Läden ansteuern muss, um alles auf meiner Liste zu bekommen, bin ich schon nach einer halben Stunde wieder zurück. Menema und Tochter sind immer noch zu Gange. Während es für Menema ein selbstverständlicher Bestandteil ihres strukturierten Tages ist, sieht die Tochter nicht so glücklich bei der Arbeit aus und hat sich schon wieder Ihrer Lieblingsbeschäftigung gewidmet: Auf dem Rechen lehnend, ist sie vertieft in die Beschäftigung mit ihrem Smartphone. Noch scheint es unklar, ob sie einmal in die Fußstapfen ihrer Mutter treten wird, und erkennen, das Eigentum, allemal wenn es vermietet werden soll, verpflichtet. Ich räume mein Wasser in den Kühlschrank und widme mich auf der Terrasse dem Schreiben und der Korrespondenz.
Spät am Nachmittag schwinge ich mich nochmals in den Wagen, den ich morgen wieder abgeben werde, um noch unbekannte Ecken der Insel zu erkunden.
Die Abzweigung, die mich auf die Rundstraße um die Insel bringen würde, lasse ich links liegen und fahre durch Arutanga weiter in Richtung der südlichen Inselspitze. Die Häuser werden spärlicher und die Straße schlechter, längst hat sie schon keinen Teerbelag mehr. Es gibt elegante, schöne Villen hier draußen, stelle ich überrascht fest, und frage mich, ob die Menschen, die hier so aufwendig gebaut haben, auf einen Ausbau der Straße hoffen. Irgendwann gibt es aber auch keine Häuser mehr.
Rechts des Weges sehe ich durch die Bäume auf das Wasser der Lagune, links des Weges wird das Gestrüpp dichter und dichter, bis es dschungelähnlich, undurchdringlich und wild anmutet. Vor mir auf der arg holprigen und mit tiefen Schlaglöchern übersäten Straße, tauchen mehr und mehr bizarre Gestalten auf, die sich eilig über die Straße bewegen und sobald ich mich nähere, unsichtbar werden, verschwinden. Ich halte an und stelle den Motor aus. Nach einer Weile tauchen Sie wieder auf. Aus allen Richtungen eilen sie durch die Löcher und über die Steine. In allen Größen von klein bis sehr groß sind sie unterwegs. Es sind Krabben.
Geschäftig seitwärts laufend, mit ausgefahrenen Stilaugen, mit welchen sie Rundumsicht haben, schießen sie kreuz und quer von einem Straßenrand zum anderen, es herrscht ein emsiges Treiben auf der holprigen Piste. Monsterkrabben taufe ich sie und meine Phantasie spinnt die tollsten Geschichten. Das „Tal der Monsterkrabben“ heißt der Titel meines Films der vor meinen geistigen Auge am entstehen ist, während ich staunend die unzähligen Tiere beobachte. Ray Harryhausen wäre der Richtige gewesen um dieses Treiben hier in Szenerie zu setzen und auf die Leinwand zu bringen. Auch die Verfilmung des Romans „Die geheimnisvolle Insel“ von Jules Verne könnte hier locker ein Remake erfahren.
Nach geraumer Zeit starte ich den Motor wieder und fahre weiter. Die Krabben verschwinden so, wie sie aufgetaucht sind, auf unheimliche Weise in den Löchern der Straße und des Straßenrands. Der Weg führt weiter und weiter und er scheint kein Ende zu nehmen. Nur sehr langsam kann ich durch die tiefen Schlaglöcher vorwärts kommen. Leider hielt ich auf der kleinen Insel die mit einem einzigen Rundweg eingezeichnete Karte für überflüssig. Jetzt würde sie mir helfen, zu entscheiden, ob es lohnt, den Weg, der mir absolute Konzentration abverlangt, damit ich mit dem Wagen nicht aufsetzte, weiter zu fahren. Irgendwann gebe ich dann aber die Hoffnung auf, dass er wieder auf eine befestigte Straße führen wird und drehe um. Ich fahre den Weg zurück, den ich gekommen bin.
An meinen letzten Abend auf Aitutaki möchte ich unbedingt nochmal auswärts essen und fahre zu einem Hotel, welches nur wenige Kilometer von der Beachvilla entfernt liegt. Menema hatte es mir empfohlen und ich konnte mich bereits schon einmal von der guten Qualität der Speisen und der Weine überzeugen. Das sehe nicht nur ich so. Wie schon bei meinem ersten Besuch steht im Garten ein großer runder Tisch, an welchem eine große Familie gemeinsam feiert und isst.
Viele Einheimische sind hier beim Essen. Die Frauen sehen wunderschön aus, mit ihren bunten Kleidern und den geschmackvollen Blumenkränzen im Haar. Die Kinder spielen auf dem Rasen und am Meer, auf dessen Oberfläche sich nun nach und nach das Rosa des Sonnenuntergangs und der Abenddämmerung spiegelt. Genussvoll nippe ich an meinem kühlen, wirklich guten Wein. Im Wechsel schaue ich der Familienszenerie, dem Sonnenuntergang und dem Treiben vor mir auf der großen Rasenfläche zu. Es ist ein zauberhafter Moment, der mir wieder einmal bewusst macht, wie fern von zu Hause ich bin und in welch unbekannter Umgebung. Ein bisschen wie in einem schönen Traum, lasse ich alles auf mich wirken, atme tief ein und aus, so als ließen sich die Bilder einatmen, um sie für immer zu bewahren.
Auf der Heimfahrt sehe ich in den meisten Häusern noch Licht und ein Duft von Gegrilltem liegt auch noch in der Luft. Die Menschen haben es sich rund um ihre großen Feuerstellen gemütlich gemacht, erzählen im Kreise der Familie und legen auch jetzt noch das eine oder andere Grillgut auf den Rost.
In meiner Beachvilla angekommen, mag auch ich noch nicht ins Bett gehen. Ich lege mich auf die Terrasse und lausche den nächtlichen Geräuschen und dem hier und dort plätschernden Wasser in der Lagune.
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