Aus Känguru -Träumen erwacht, schlage ich die Augen auf und denke „Koalas“ . Einen Koala habe ich noch nicht gesehen. Große Hoffnung machte ich mir nicht, in der kurzen Zeit, die mir hier in Toora noch bleibt, ausgerechnet einen dieser ebenfalls nachtaktiven Beutelbären zu sehen. Mit ihrer silbergrauen Farbe halten sie sich meist eingeklemmt in Astgabelungen auf, um dort länger als jedes Faultier zu schlafen. Nur zum Baumwechsel kommen sie überhaupt runter und klettern auf den nächsten. Sie sind Einzelgänger, was es nicht einfacher macht, sie in freier Natur zu finden.
Die Fahrt heute soll nach Canberra gehen. Das Navi rechnet die kürzeste Strecke mit 640 km aus und errechnet eine reine Fahrzeit von 7 Stunden 15. Wir verzichten auf das Frühstück im Hotel und machen uns früh auf den Weg zu den naheliegenden Eukalyptuswäldern. Die Blätter diese Baumes sind die einzige Nahrung, die Koalas zu sich nehmen. Mit ihren guten Nasen können sie die am wenigsten giftigen Blätter am Baum erschnuppern und wenn diese vertilgt sind, suchen sie sich den nächsten Baum. Beim Gang durch die Wälder gilt es auch am frühen Morgen wieder, sich vor den lästigen Fliegen zu schützen, und die Augen zu schärfen, um wirklich jeden Millimeter der Baumkronen abzuscannen. Das heißt aber noch lange nicht, dass man einen Koala erkennt. Meist liegen sie so im Geäst, dass man sie selber für Äste hält. Aber erneut wird meine Ausdauer belohnt. Ich erblicke ein graues Knäuel auf dem Baum. Schon am Vortag hatte ich einen entdeckt, aber der lieferte im eingerollten Zustand, den er auf Grund des Regens eingenommen hatte, kein Motiv für meine Kamera. Der, den ich heute ausgemacht hatte, ließ wenigstens seinen Körper und sein Gesicht erahnen. Ich zoomte ihn mir ganz nahe ran. So niedlich und irgendwie dann doch schutzlos sitzt der für seine Art mittelgroße Kerl dort oben und schläft. Wem da nicht das Herz aufgeht.
Durch das Knacken unten im Geäst, das ich, um ihn von allen Seiten sehen zu können, beim Gang um den Baum mache, wird er dann aber doch wach. Im Zeitlupentempo reckt er sein Gesicht, öffnet die kleinen Knopfaugen und dreht seinen Hals. Sehen können diese Bären schlecht, aber vermutlich sagt ihm sein Riechorgan, dass keine Gefahr besteht. Er bleibt ganz ruhig, und nachdem ich mich eine Weile nicht mehr bewegt habe, bewegt sich auch der verschlafene Wonneproppen nicht mehr. Ich bin hingerissen von dem schönen Anblick und froh, auch dieses australische Tier gesehen zu haben, das wie kein anderes als Personifizierung des australischen Charakters gilt.
Nun heißt es aber keine Zeit mehr verlieren und ab auf die Straße in Richtung Canberra. Die Fahrt wird lang. Zunächst fahren wir noch durch das Toora umgebende, oftmals verlassene, Weideland. Viele Schilder zeigen den Wunsch nach Verkauf der Farmhäuser an. Dann geht es weiter durch das Landesinnere des Bundestaates Victoria über Sale und Bairnsdale, zwei Städte, die in der Zeit des Goldrauschs ihren Höhepunkt erlebten, vorbei an den Gipsland Lakes, wo wir ein letztes Mal die Küste der Tasman Sea streifen. Es wird zunehmend bergig. Wir durchfahren Städte, Wälder , Eukalyptus Alleen. Die einzigen Tiere, die wir noch sehen sind die Kühe auf den Weiden und ein totgefahrenes Känguru auf dem Motorway. Ich versuche via Mail Kontakt mit dem Host der Airbnb Unterkunft in Sydney aufzunehmen. Wir sollten langsam einmal mit ihm klären, wie wir ihn treffen oder anderweitig den Schlüssel erhalten. Es heißt, es soll für die Silvesterfeiern großflächige Straßensperrungen geben. Also muss auch geklärt werden, wie wir zu seinem Appartement hinkommen und wo es den benannten Parkplatz gibt.
Inzwischen durchqueren wir den bevölkerungsreichsten Bundesstaat Australiens, New South Wales, und zu guter Letzt das Australien Capital Territory, das Hauptstadtterritorium, welches vollständig von New South Wales umschlossen ist. Hier nun wieder ist die Landschaft weitflächig und es gibt auch wieder Weideland. Im Tal sehen wir Canberra, die Hauptstadt Australiens vor uns liegen. Sie sieht sehr unspektakulär aus, großflächig mit viel Grün und von eher sanften Hügeln umgeben. Auch Hochhäuser, die ja oftmals die Ansicht großer Hauptstädte prägen, fehlen völlig im Bild. Als wir dann laut Navi bereis in Canberra sind, kommt es uns eher vor, als führen wir durch eine riesengroße Parkanlage. Keinen Augenblick wähnt man sich in einer Stadt, schon gar nicht in der Hauptstadt eines großen Landes. Es ist Freitag der 30. Dezember. Es herrscht so wenig Verkehr in den Straßen, dass ich oftmals verunsichert darüber nachdenke, ob Canberra über die Feiertage vielleicht evakuiert worden sei und nur wir es nicht mitbekommen hätten
In der Dämmerung erreichen wir das gebuchte Hotel. Wiederum vor einem Jahr gebucht, hatte ich einen sehr günstigen Preis erwischt und bin nun angenehm überrascht, als wir das Appartement mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, großer Küche und einem sehr großen Bad, in welchem sich in einem Wandschrank auch Waschmaschine und Trockner befinden, betreten. Endlich kann ich wieder einmal meine Wäsche waschen. Ich zögere nicht und mache gleich die erste Maschine voll. Mir bleibt dazu nur eine Nacht. Zwei Balkone machen den Luxus perfekt. Inzwischen versuche ich in gewissen Abständen den Herrn in Sydney zu erreichen, bei dem die Wohnung für die Silvester Nacht gebucht ist. Weiterhin bleibt die versuchte Kontaktaufnahme erfolglos. Erstmals kommt mir nun der Gedanke, „was wäre wenn“. Was wäre wenn wir ihn nicht erreichen könnten? Ein Highlight meiner Reise sollte Silvester in Sydney werden. Die Fahrt von Canberra würde ca. 4 – 5 Stunden in Anspruch nehmen. Über die Nachrichten hatten wir erfahren, dass 1.5 Millionen Besucher erwartet wurden. Sicherheitshalber suchte ich im Internet schon einmal nach alternativen Übernachtungsmöglichkeiten. Die Preise für die schlechtesten Hotels lagen dort zwischen 600 und 800 Euro für die Nacht. Aber der Herr von der Elisabeth Bay würde sich ja wohl noch melden.
Da sich für eine Nacht ein Einkauf zum Kochen nicht lohnte, verlassen wir das Hotel auf der Suche nach einem Restaurant für den Abend. Wir finden eine Pizzeria gleich in der Nachbarschaft. Der Gastraum ist leer. Trotzdem wagen wir es und bestellen bei der wenig freundlichen Bedienung Pasta und Wein. Es scheint keine große Begeisterung hervorzurufen, dass wir so spät, – es ist ca. 21 Uhr – noch solche Wünsche haben. Tatsächlich betritt aber auch noch ein weiterer Gast das Lokal. Ein einzelner Herr, der Stammgast zu sein scheint, denn er erhält sogleich das Glas Rotwein und die Zeitung an den Tisch gebracht. Das Essen ist Durchschnitt aber nach der langen Anfahrt auch willkommen und gut. Wir verlassen die Pizzeria und treten hinaus in die absolute Stille dieser verlassenen Stadt. Mir erscheint es, als wenn das Zentrum Kilometerweit entfernt sein müsse, aber eigentlich sollten wir uns ganz in der Nähe befinden.
Zurück im Hotel checke ich wieder und wieder meine Mails und mein Telefon. Keine Nachricht aus Sydney.
Ein Gedanke, den ich überhaupt nicht denken mag, drängt sich nun unablässig in mein Unterbewusstsein und fordert Beachtung. Was, wenn wir auch morgen noch nichts von ihm gehört haben. Sollen wir auf gut Glück in diese völlig überfüllte Großstadt fahren, ohne ein Quartier in Aussicht zu haben. Was tun? In dieser Geisterstadt bleiben? Das Appartement geniessen. Aber was ist das für ein Silvester? Wir sind in Australien und Sydney leuchtet und funkelt in meiner Vorstellung und in dem Wunsch ein außergewöhnliches Erlebnis zu haben. Es scheint mir deshalb auch nur wie ein blinder Aktionismus, als ich in der Rezeption anrufe und frage, ob wir das Zimmer eventuell auch noch die kommende Silvesternacht haben können. Ja, könnten wir, wenn auch der Preis deutlich höher ist, wie der, den wir für diese Nacht zahlten. Wir sollen schnellstmöglich Bescheid geben. Aber so weit darf es ja nicht kommen, denke ich und falle mit Sorgenfalten auf der Stirn in den Schlaf. Die Situation am frühen Morgen ist unverändert. Der Typ meldet sich nicht. Die Gedanken rasen durch den Kopf. Nein, ohne Aussicht auf eine Unterkunft nach Sydney fahren ist Blödsinn. Unser beider Flüge gehen jeweils am 01 und 2. Januar. Die Koffer müssen gepackt sein und für F, der nach Deutschland zurück fliegt, und am 3 auch schon wieder arbeiten muss, wäre das ein viel zu anstrengendes Unterfangen.
Ich schalte Airbnb in Australien ein. Das Mädchen, welches ich zuerst in der Leitung habe, erfasst die Situation nur schlecht. Sie wolle Kontakt mit dem Anbieter der Wohnung aufnehmen. Aber wir hören nichts mehr von ihr. Das Hotel drängt und möchte wissen, ob wir verlängern. Die Koffer sind inzwischen gepackt, die Wäsche ist getrocknet. Unsere nächste Ansprechpartnerin bei Airbnb ist gewandter. Sie teilt uns mit, dass alle Kontaktversuche seitens AIrbnb bisher ebenfalls ohne Erfolg blieben. Sie klärt uns auf, was zu tun ist. Wir müssen nach Sydney fahren und müssen im Appartement klingeln, auch wenn wir keinen Kontakt haben. Die Uhr hier in Canberra tickt. Erst wenn uns dann niemand öffnet, dann können wir uns wieder an Airbnb wenden und dann wird man uns mit einer anderen Unterkunft, im äußersten Falle auch mit einem Hotelzimmer weiterhelfen. Die Kosten trägt Airbnb. Was es in Sydney noch an Unterkünften gibt, das haben wir gesehen. Vermutlich ist mir unbewusst längst schon klar, dass die bessere Lösung heißt, hier in Canberra, in diesem Hotel zu bleiben. Aber ich mag diesen Gedanken nicht zulassen. Längst hatte ich das Feuerwerk über der Harbour Bridge vor meinem inneren Auge gesehen und ich hatte mich so sehr darauf gefreut. Ich wäre dabei gewesen, wenn es weit zurück in Deutschland, bei den Lieben daheim in den Nachrichten gehießen hätte: … „in Sydney haben die Menschen soeben das Neue Jahr begrüßen können…“. – von Canberra ist in diesem Zusammenhang noch niemals die Rede gewesen. Und nun, da ich hier saß und litt, war mir auch absolut klar warum. Hier war überhaupt niemand zugegen, der diesen Jahreswechsel in Canberra erleben konnte. Wir würden vielleicht mit dem Hotelpersonal in der Rezeption feiern. Mit Google Aktionen, in denen wir nach Veranstaltungen in Canberra suchten, brachten wir uns dem Ergebnis aller Überlegungen immer näher. Auch wenn sich in mir noch alles sträubte, die Zornestränen und gewiss auch Tränen der Verzweiflung flossen, die Entscheidung musste gefällt werden. Einmal ,vor etwa einer Stunde, hatte ich dem Rezeptionisten schon die Verlängerung mitgeteilt, um sie dann wenige Minuten später wieder rückgängig zu machen. Es war ein einziges Hin und Her und Auf und Ab der Gefühle, nur schwer konnte ich von meinen Träumen loslassen, während dessen die Gewissheit in mir wuchs, dass ich den Plan fallen lassen musste und mit der Enttäuschung leben. Um zwanzig Minuten nach Zehn am Morgen des 31.12. fiel dann die Entscheidung. Wir würden hier bleiben und Silvestern in Canberra verbringen. Es würde vermutlich eine Stubenparty werden, mit Sekt von der Tankstelle. Es sah hier nicht danach aus, dass auch nur ein Geschäft geöffnet hätte. Die nette Dame von AirBnB hatte inzwischen mitgeteilt, dass man uns das Hotel hier in Canberra bis zu einer festgelegten Höchstgrenze bezahlen würde. Ein kleiner Rest blieb damit für uns. Auch bekamen wir die bezahlte Unterkunft in Sydney erstattet. Das war anständig und ließ die schlechte Einzelerfahrung nicht zur schlechten Erfahrung überhaupt mit diesem System werden.
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